„Is this the real life? / Is this just fantasy? / Caught in a landslide / No escape from reality“: Wenn man die ersten Töne von Bohemian Rhapsody von Queen hört, hat man direkt ein Bild vor Augen: Vier männliche Köpfe mit langen gewellten Haaren ragen aus der Dunkelheit und singen aus voller Kehle.
Das Musikvideo zur Rockoper hat heute fast zwei Milliarden Klicks auf Youtube und ist zum zeitlosen Kult-Video gewachsen. Vor 50 Jahren war es dagegen erstmal nur: praktisches Promo-Material. Gedreht für Sendungen wie „Top of the Pops“ von der BBC, damit Freddie Mercury und Co. dort nicht live auftreten mussten – vor allem nicht mit dem damals üblichen Playback. Doch das Video schlägt 1975 ein wie eine Bombe. Und macht den Song erst so richtig erfolgreich.
Das erste Musikvideo – wie wir es heute kennen
Werbung in Form eines Musikvideos – das ist das Neue an „Bohemian Rhapsody“. Denn natürlich hat es auch vorher schon Musik mit Video gegeben. Wie zum Beispiel 1965 die ikonischen Bilder zum Subterranean Homesick Blues von Bob Dylan. Darin hält der heutige Literaturnobelpreisträger große weiße Karten in die Kamera, auf die teilweise der Liedtext geschrieben ist. Doch der große Unterschied zu „Bohemian Rhapsody“ ist, dass Dylans Video im Zuge einer Dokumentation über die erste England-Tour des Musikers gedreht wurde und nicht als gezielte Promo für den Song. Die Ära der Musikvideos läuten dann erst Queen Mitte der Siebziger ein. So richtig Fahrt nimmt das Ganze aber erst ein paar Jahre später auf, als ein ganz bestimmter Sender On Air geht.
„Video Killed the Radio Star“: 1981 geht MTV auf Sendung
„This is it. Welcome to MTV Music Television. The World’s first 24-hour stereo video music channel“, sagt Mark Goodman, einer der ersten fünf MTV-Moderatoren in die Kamera. 1981 startet in den USA mit MTV der erste Musiksender und verändert damit die Musikindustrie für immer. The Buggles machen mit ihrem Song „Video Killed the Radio Star“ den Anfang und ebnen den Weg: „Sledgehammer“ von Peter Gabriel, „Take on Me“ von A-Ha oder „Sweet Dreams“ von den Eurythmics. All diese Songs sind auch oder vor allem wegen ihrer Videos bekannt.
Der Höhepunkt des frühen Musikvideo-Booms kommt 1983 von Michael Jackson. Mit tanzenden Zombies und einem damaligen Rekord-Budget von einer Millionen Dollar dreht Starregisseur John Landis gleich einen ganzen Kurzfilm zum Song „Thriller“. Das bringt einen Stein ins Rollen, der zwölf Jahre später mit dem Video zu „SCREAM“ von Michael und Janet Jackson seine Höchstgeschwindigkeit erreicht.
Sieben Millionen Dollar kostet das größtenteils schwarz-weiß gehaltene Video, das in einem Raumschiff spielt und voller Spezialeffekte steckt. Ein Budget, das auch heute noch den Rekord hält. Denn Ende der 90er werden solche Mega-Budgets immer seltener. MTV sendet plötzlich immer mehr Reality-TV und weniger Musikvideos.
Klick-Hits zum Mittanzen
Doch die Musikvideos finden im Internet eine neue Heimat. Dafür werden dann einzelne virale Momente wichtiger als ein ganzes Video. Im Zeitalter von Youtube und Social Media können Songs wie der „Gangnam Style“ vom koreanischen Rapper PSY, „Wrecking Ball“ von Miley Cyrus und „This is America“ von Childish Gambino eine ganz neue Wirkung erzielen. „This is America“ zeigt direkte Waffengewalt gegenüber einem Kirchenchor neben ekstatischem Tanzen des Rappers. Diese Schockmomente werden auf unzähligen Social-Media-Accounts geteilt, sodass der Song monatelang den politischen Diskurs in Amerika – und damit auch der Welt bestimmt.
Mit der Videoplattform TikTok gewinnen Musikvideos dann noch mehr an Relevanz. Allerdings nicht in voller Länge. Denn in der Ära der Kurzvideos werden die kurzen viralen Momente und vor allem die Wiederverwendung durch eigene Tanzvideos wichtiger als je zuvor. Aufwändiger produzierte Videos fallen da schon allein deswegen auf, weil es sie nicht mehr so häufig gibt. Wie beim neuesten viralen Hit von Rosalia.
Social Media als Konkurrent zum Musikvideo
Social-Media-Plattformen verbreiten Musikvideos aber nicht nur, sie sind auch eine direkte Konkurrenz. Denn genau wie Musikvideos vor 50 Jahren versprechen sie: „Wir sind eure beste Werbung“. Heutzutage kann nicht mehr ein Großteil des Budgets und der Zeit in ein aufwändiges Musikvideo fließen, weil auch ein guter Social-Media-Auftritt Ressourcen verschlingt. Fans wollen nicht mehr nur das epische Video, sondern auch einen Star, der Nähe verspricht. Ein Symptom davon ist auch, dass Ende des Jahres MTV alle Musikkanäle schließen will.
Dennoch: Das Musikvideo bleibt auch 50 Jahre nach „Bohemian Rhapsody“ relevant – es hat nur mehr Konkurrenz bekommen und muss sich deswegen immer wieder neu erfinden.

