Gleichzeitig warnte der Experte, im Zusammenhang der Terrorismus-Debatte den Islam an sich zu kritisieren. „80 Prozent der Muslime in Deutschland sind keine Flüchtlinge und Asylbewerber und produzieren fast überhaupt keinen Terrorismus“, so Neumann. Mathieu Coquelin zufolge sei das Schüren von Vorurteilen gegenüber Muslimen im Sinne der Terroristen – da Personen, die rassistisch diskriminiert würden, anfälliger seien für islamistische Demagogen.
TikTok: Schauplatz der Selbstradikalisierung
Den Experten zufolge würden sich heutzutage Islamisten vor allem auf Internet-Plattformen wie TikTok radikalisieren. „Ein möglicherweise ganz normales Video führt zu einem Islamisten, der Islamist zum Dschihadisten und plötzlich hast du eine Blase geschaffen auf sozialen Medienplattformen, wo du quasi mit dieser Art von Messaging bombardiert wirst und immer tiefer hineingerätst“, beschreibt Neumann die Wirkung der Plattform. Daraus entstünden Gewaltfantasien und in einigen Fällen tatsächlich der Plan, einen terroristischen Anschlag zu verüben.
Coquelin bezeichnet TikTok als „Schnellkochtopf“ der Radikalisierung. Islamisten würden auf der Plattform gezielt versuchen, junge Menschen von der demokratischen, offenen Gesellschaft zu entfremden. Der Experte fordert deswegen eine stärkere Regulierung von Plattformen wie TikTok. „Wir sehen, dass die Algorithmen den Hass bevorzugen; dass jeder Versuch, differenziert zu argumentieren, algorithmisch den Nachzug erhält. Das macht es extrem schwierig bis unmöglich, dagegen vorzugehen“, so der Extremismus-Experte. Anbieter sollten verpflichtet werden, ihre Algorithmen offenzulegen, sodass „überall da, wo dem Hass nicht entgegengewirkt, sondern dieser begünstigt wird“ eingegriffen werden könne.
Mehr geschultes Personal für Prävention und Aufklärung
Den Bereich Schule und Soziale Arbeit sieht Coquelin eigentlich als „sehr gute Hebel, um präventiv wirken zu können.“ Allerdings seien die Behörden nicht ausreichend sensibilisiert, um Radikalisierung im Netz zu erkennen und wirkungsvoll einzuschreiten.
Neumann zufolge brauche es Frühwarnsysteme und mehr geschultes Personal im Umgang mit Asylbewerbern, um Signale einer Radikalisierung rechtzeitig zu erkennen. Das Thema sei „politisch sensibel“ – sollte man es allerdings ignorieren, profitiere davon nur die extreme Rechte, wie Fälle in anderen Ländern gezeigt hätten, so Neumann. „Die Bekämpfung des dschihadistischen Terrorismus ist keine Repression, sondern man tut im Gegenteil der liberalen Demokratie einen Gefallen, wenn man dafür sorgt, dass solche Anschläge nicht stattfinden“, sagt Neumann.