Ganze Regalmeter haben früher die verschiedensten Lexika gefüllt. Mittlerweile stellt sich kaum noch jemand den Brockhaus oder das Meyers-Lexikon in die Bücherwand. Alle Informationen sind frei zugänglich im Internet, bei Wikipedia. Die Webseite will das Wissen der Welt allen Usern zugänglich machen. Alle können ihr Wissen selbst über Wikipedia teilen.
Dem US-Milliardär und Tech-Unternehmer Elon Musk ist das ein Dorn im Auge. Er findet die Einträge zu weltoffen, beziehungsweise zu „woke“, wie er das nennt. Musk forderte deshalb jüngst, die User sollten nicht mehr für „Wokepedia“ spenden. Sein Aufruf hat allerdings nichts gebracht, Wikipedia hat sein Spendenziel trotzdem problemlos erreicht.
Deutsche Geschichte sollte umgeschrieben werden
Musks Attacke ist nicht die erste, der sich Wikipedia gegenübersieht. Rechtsextreme haben ungefähr ab 2005 versucht, mit Fake Accounts die Online-Enzyklopädie zu unterwandern. Konkret ging es darum, Artikel zur deutschen Geschichte umschreiben. Dabei wurden Fakten erfunden und verdreht und so zum Beispiel der Holocaust relativiert.
Los gingen die Angriffe auf Wikipedia mit einem Aufruf: „Hier spricht der Rosa Liebknecht Sockenpuppenzoo. Nach wie vor brüten wir vor dem Problem, wie es möglich ist, ohne allzu großen Zeitaufwand das Projekt nachhaltig zu schädigen.“
Hinter dem Namen „Rosa Liebknecht Sockenpuppenzoo“ verbargen sich mehrere User, die mithilfe von hunderten Fake-Accounts die Informationen der Online-Enzyklopädie manipulierten. Sockenpuppen, weil die vermeintlichen Autoren genauso unecht waren, wie die aus Socken gebastelten Handpuppen von Bauchrednern.
Aus einem Nazi-Opfer einen Täter machen
Wie die Einflussnahme genau funktioniert hat, zeigt das Beispiel des Wikipedia-Eintrags zum Widerstandskämpfer Georg Elser. Elser wurde in Wahrheit heimlich und ohne Gerichtsurteil von der SS hingerichtet. Damit ist Georg Elser ein SS-Opfer. Aber der „Rosa Liebknecht Sockenpuppenzoo“ hat das Wort „NS-Opfer“ geändert, in „Mörder“. Und so wird aus dem Opfer, ein Täter.
Wer genau hinter dem „Sockenpuppenzoo“ steckte, ist schwer nachvollziehbar. Einige Spuren, denen die Podcast-Autoren nachgehen, führen in die Marburger Studentenszene. Klar ist dagegen: Die Rechtsradikalen versuchten jahrelang, die Realität umzuschreiben. Die Checks und Kontrollmechanismen waren bei Wikipedia anfangs noch kaum ausgebildet. Allerdings stellte sich den Attacken eine Handvoll Wikipedianer entgegen. Einträge wurden wieder zurück korrigiert.
Nach 2016 ist Schluss – irgendwie
Die Welle ebbt irgendwann nach ungefähr fünf Jahren ab. Eines der letzten Lebenszeichen des „Sockenpuppenzoos“ kommt 2016 von einem Account, der den Artikel zu den Übergriffen in der Silvesternacht 2015 in Köln anlegt. Die meisten der manipulierten Einträge sind inzwischen verschwunden. Alle wahrscheinlich nicht.
Könnte neuer Angriff heute noch abgewehrt werden?
Inzwischen sollen neue Kontroll-Mechanismen verhindern, dass sich Fake-Accounts unter die Autoren mischen und damit Unwahrheiten verbreiten. Aber auch die Gegenseite schläft nicht und sie hat mit Elon Musk inzwischen womöglich sogar einen mächtigen Unterstützer bekommen.
Bedenklich auch: Als der Sockenpuppenzoo bekämpft wurde, gab es eine starke Wikipedia-Community mit 10.000 aktiven Autoren und Autorinnen. Heute sind es nur noch knapp 6.000 Mitstreiter. Insofern fragen sich die Podcast-Autoren, ob ein Angriff, wie der des „Sockenpuppenzoos“, heute noch erfolgreich abgewehrt werden könnte.
Die beiden Investigativ-Journalisten Christoph Schattleitner und Daniel Laufer erzählen die spannende Geschichte eines großangelegten Manipulationsangriffs auf die deutschsprachige Wikipedia. Dabei stoßen sie auf den rechten Sockenpuppenzoo, so nennen die beiden nun auch ihren neuen Podcast. Zu finden ab sofort hier in der ARD-Audiothek und überall wo es Podcasts gibt.