Spekulative Details
Sehr prächtig ist auch die Rekonstruktion der Stadt Kuttenberg gelungen, heute Kutná Hora, samt Rathaus und prächtigem Turmuhr, von der allerdings niemand weiß, wie sie aussah. Deshalb haben die Entwickler viele Anleihen von unterschiedlichen Uhren genommen, zum Beispiel aus Prag, sagt Sonja Würtemberger. Das Problem dabei: „Wir sind Anfang des 15. Jahrhunderts und nicht Ende des 15. Jahrhunderts, wo viele solcher Uhren auch nachweisbar entstanden sind. Wir wissen nicht, was Anfang des 15. Jahrhunderts war. Das ist so ein bisschen, als würde man in einem Spiel über die 20er-Jahre einen Schnellzug durch Berlin schicken und nicht eine Dampflok.“
Zu schöne Figuren
Auch seien die Charaktere im Spiel im Schnitt zu alt, bemängelt die Mediävistin. Die Lebenserwartung lag damals bei nur 35 Jahren. Und außerdem seien alle eigentlich zu schön: „Die Zähne sind alle extrem gut. Die Fönfrisuren der Helden auch. Sie sind alle gut gebaut. Sie haben alle offensichtlich niemals Mangelernährung erlitten, hatten keine Krankheiten.“ Auch von Narben von Pocken, Akne oder Masern, Behinderungen durch Unfälle oder Kinderlähmung, sieht man nichts.
Kein Geschichtsunterricht
Allen historisch-inspirierten Spielen ist gemein, dass sie sich eben nicht dazu eignen, jenseits von etwas Atmosphäre, wirklich etwas über Geschichte zu lernen. „Ich würde es vielleicht als vorgelagertes Lehrmittel beschreiben“, sagt Sonja Würtemberger. Es solle primär Interesse wecken. Um auf Fragen nach dem konkreten Jahr, konkreten Fakten aus der damaligen Zeit und der realen Darstellung der Figuren zu antworten, bedarf es kundiger Anleitung und richtiger Geschichtsbücher. Also Geschichtsunterricht, ob nun an der Schule oder der Universität.
Trotzdem: Als Spiel funktioniert „Kingdom Come: Deliverance 2“ hervorragend. Denn die Geschichte wird mit Herz erzählt und die Spielumgebung ist, authentisch oder nicht, überwältigend schön, detailreich und bunt.