„Manchmal ist Schweigen lauter und deutlicher als ein stürmischer Redefluss“, so der Chefkolumnist (externe Links) der auflagenstarken „Moskowski Komsomolez“, Michail Rostowski. Er kommentierte die Freilassung des US-Bürgers Marc Fogel, der seit August 2021 wegen eines angeblichen Drogenvergehens in Russland inhaftiert war. Der Kreml hatte sich dazu zunächst nicht geäußert, was Rostowski damit begründete, dass Präsident Putin als Ex-Agent in wirklich heiklen Angelegenheiten immer noch auf seine Geheimdienst-Kollegen setze, nicht auf offizielle Kanäle.
Lawrow: „Wir haben anderen Ansatz“
Später stellte Putin-Sprecher Peskow in Aussicht, dass dank „intensivierter Kontakte“ für Fogel im Austausch ein russischer Häftling in den USA freikommt. Außenminister Sergei Lawrow rechtfertigte die auffällige Stille mit dem Hinweis, Diplomatie bevorzuge „im Allgemeinen das Schweigen“: „Aber unsere amerikanischen Kollegen haben beschlossen, die Ergebnisse zu veröffentlichen. Wir haben einen anderen Ansatz bei den erzielten Vereinbarungen. Im Interesse einer effektiven Diplomatie ziehen wir es vor, Vertraulichkeitsvereinbarungen einzuhalten.“
Über soviel Diskretion irritiert schrieb Michail Rostowski: „Die Situation ist, gelinde gesagt, ungewöhnlich – das russische politische Establishment erfährt von einem wichtigen politischen Ereignis in der russischen Hauptstadt nicht aus offiziellen Berichten von Putins Pressesprecher [Dmitri Peskow], sondern aus Daten des Flugbewegungs-Dienstes Flightradar.“
Locken hohe Antrittsprämien?
Weniger staatstragende Kommentatoren begründeten die Zurückhaltung Putins mit schlichter Angst um die Kampfmoral: „Die Vorsicht von Putins Team ist auf die Lage an der Front, unter anderem in der Region Kursk, zurückzuführen. Über die Geheimdienste wurde deutlich gemacht, wie schädlich Enthüllungen über einen bevorstehenden Frieden für die Moral der russischen Armee sein könnten.“
Der Kreml muss demnach fürchten, dass seine Soldaten weniger motiviert sind, sobald es konkrete Aussichten für einen Waffenstillstand gibt. Im Übrigen würden Söldner derzeit mit sehr hohen Antrittsprämien geködert, so dass kurzfristig mit einem großen Andrang auf die Rekrutierungsbüros zu rechnen sei: So mancher Freiwillige werde versuchen, das Geld abzugreifen, wenn er einigermaßen sicher sein könne, dass der Krieg bald zu Ende gehe.
„Moskau ist nicht durch Besuche verwöhnt“
Politologe Dmitri Michailitschenko argumentierte, es gebe nach Fogels Freilassung Grund zur „wachsenden Zuversicht“, weil auch die Ukraine kriegsmüde sei: „Politische Nachrichten sind nicht mehr weniger wichtig als militärische Nachrichten. Die Rückkehr der Politik in der Ukraine steht im Zeichen der nahenden Präsidentschaftswahlen, die Selenskyj nicht länger hinauszögern kann. Und bei denen er nur sehr, sehr geringe Gewinnchancen hat.“
Der Kolumnist des Wirtschaftsblatts „Kommersant“, Dmitri Drise, konnte sich eine Prise Ironie nicht verkneifen: „Russland ist derzeit nicht durch Besuche wichtiger Persönlichkeiten aus der unfreundlichen westlichen Welt verwöhnt, und so ist es nicht verwunderlich, dass selbst ein ‚Ambulanzflug‘ als ein Ereignis von nahezu planetarischem Ausmaß wahrgenommen wird.“ Inoffiziell hatte es in Moskau geheißen, das US-Flugzeug, das Marc Fogel nutzte, sei in Moskau aus „medizinischen Gründen“ gelandet. Die „Washington Post“ will dagegen erfahren haben, dass US-Präsident Donald Trumps Sondergesandte für den Nahen Osten, Steve Witkoff, einer der Passagiere war und drei Stunden mit Putin sprach.