In den großen russischen Telegram-Kanälen, etwa bei den „Zwei Majoren“ mit 1,22 Millionen Followern, ist davon die Rede, Putins Armee habe bei Rückzügen „Personal gerettet“. Manche Städte seien entgegen der offiziellen Darstellung des Verteidigungsministeriums „nie eingenommen“ worden. Militärblogger wie „WarGonzo“ Semjon Pegow oder Oleg Sarow sprechen wahlweise von einer „schwierigen“, „sehr schwierigen“ oder „äußerst schwierigen“ Situation, wenn sie verlustreiche russische Niederlagen umschreiben müssen.
„Materialverluste kümmern niemanden“
Sogar Juri Podoljak, mit 3,1 Millionen Fans einer der populärsten russischen Kommentatoren, gibt sich düster: „Die ukrainischen Streitkräfte haben ihre Offensive fortgesetzt und dabei in der Breite der Front deutlich ausgeweitet. Und sie verbuchen deutliche taktische Erfolge. Im Moment ist die Situation schwierig, aber unsere Jungs halten durch.“
Von der Front kommen derweil sehr pessimistische Augenzeugen-Berichte russischer Soldaten: „Die Materialverluste in Richtung [der umkämpften ukrainischen Stadt] Pokrowsk wuchsen exponentiell, aber aus irgendeinem Grund kümmert es niemanden. Jetzt ist es uns nicht mal mehr erlaubt, Lebensmittelpakete in umliegende Dörfer zu liefern, und selbst in Städten laden wir sie nur in Begleitung von Militärangehörigen aus, die bereit sind, Drohnen abzuschießen.“
„Es wimmelt von Drohnen“
Menschenansammlungen um gepanzerte Fahrzeuge würden strikt vermieden: „Auf Straßen, die vor einem Monat noch mehr oder weniger sicher waren, wimmelt es heute von Drohnen, und am Straßenrand liegt eine große Menge kürzlich ausgebrannter Geräte.“
Weil russische Ultra-Patrioten seit langem eine „Generalmobilisierung“ fordern, verwies Polit-Blogger Anatoli Nesmijan darauf, dass Putin aus organisatorischen Gründen nicht in der Lage sei, einer größeren Auseinandersetzung mit der NATO standzuhalten. Dazu benötige er „mehrere Millionen“ Soldaten.
„Möglicherweise keine weitere Gelegenheit“
Doch schon die Mobilisierung von rund 300.000 Reservisten im Jahr 2022 habe Russlands Militärverwaltung an den Rand des Zusammenbruchs gebracht: „In jedem Szenario eines solchen Konflikts müssten innerhalb einer Woche rund eine Million Menschen aus ihrem friedlichen Leben gerissen, bekleidet, beschuht und bewaffnet und in litauische Sümpfe verfrachtet werden, wo sie innerhalb weniger Tage unter der Erde liegen würden.“
Der russische Blogger Alexei Schiwow (112.000 Fans) beschwörte die Armee geradezu: „Generell bestehen für uns nun gute Chancen, die Frontlinie zu durchbrechen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir hinsichtlich Personalstärke und Ausrüstung wahrscheinlich einen Vorteil von einem Drittel oder einem Viertel haben, das Problem aber bei den Drohnen des Feindes liegt, die dafür sorgen, dass die Front unbeweglich bleibt. Es ist Zeit für entschlossene Anstrengungen. Wenn wir Zeit verschwenden, ergibt sich möglicherweise keine weitere Gelegenheit.“