All diese Hinweise sind für die beiden Experten von ISD und CeMAS eindeutig. Hundertprozentig ausschließen, dass Wagenknecht oder das BSW selbst hinter dem Kanal steckt, können allerdings beide nicht. Für Nutzer, die Russisch sprechen, werde aus der Kanalbeschreibung und den Beiträgen, die geteilt werden, jedoch klar, dass es sich um einen Fan-Kanal handele, sagt Kuchta vom ISD. Der Kanal versuche also nicht absichtlich, sich als offizieller Wagenknecht-Account auszugeben und Nutzer zu täuschen.
Wer könnte hinter dem Kanal stecken?
Smirnova ist sich sicher, dass es keine Bots sind, die den Kanal bespielen: „Es sind auf jeden Fall Menschen, die diese Meldungen erst ausgesucht, dann übersetzt und dann im Kanal gepostet haben.“ Würde es sich um einen vollautomatisierten Kanal handeln, wären klare Muster im Stil, den verwendeten Quellen oder dem Format der Posts zu erkennen, sagt Smirnova. Sie und Kuchta gehen davon aus, dass der Kanal von einem Wagenknecht-Fan in Russland betrieben wird.
„Die Daten, die ich gefunden habe, deuten zwar darauf hin, dass dieser Kanal aus Russland betrieben wird. Aber natürlich kann man das auch relativ leicht umgehen. Entweder mit einer russischen Telefonnummer oder auch mit VPN“, sagt Kuchta. VPN steht für „Virtual Private Network“, damit „leiht“ sich ein Nutzer eine andere IP-Adresse, zum Beispiel aus einem anderen Land.
Smirnova hat den Eindruck, den Betreibern des russischen Telegram-Kanals sei die Verbreitung von kremlfreundlichen Inhalten wichtiger als die Politik von Wagenknecht. „Sie nutzen prorussische Positionen von BSW und von Sahra Wagenknecht, um prorussische Positionen insgesamt zu verbreiten“, sagt sie. So greife der Kanal fast nur BSW-Themen mit Bezug zu Russland auf: Zum Beispiel die Kritik an militärischer Hilfe für die Ukraine, die Forderung, US-Truppen sollen Deutschland verlassen, oder den Boykott BSW-Abgeordneter von Wolodymyr Selenskyjs Auftritt im Bundestag.
Da der Kanal manchmal Nachrichten von anderen prorussischen Telegram-Kanälen namens „Node of Time“, „CSRC Agency“ oder „Kanzlerdaddy“ teilt, scheinen die Betreiber Teil einer Bubble aus prorussischen Kanälen zu sein, sagt Smirnova. Deren Zielgruppe: russischsprachige Leser in Deutschland oder Menschen in Russland, die sich sehr speziell für deutsche Politik interessieren.
Wen erreicht der Kanal?
Das internationale Interesse an deutscher Politik auf Telegram sei groß, sagt Kuchta, nicht nur in Russland. Vor allem in Bezug auf internationale Politik, denn als wichtiges Land in der EU hätten deutsche Entscheidungen großen Einfluss, zum Beispiel auf den Krieg in der Ukraine. Deshalb gebe es auch größere russische Telegram Kanäle mit Fokus auf deutsche Politik, zum Beispiel der schon erwähnte „Папочка канцлера“ (Kanzlerdaddy) mit fast 80.000 Abonnenten.
Die Daten, die Kuchta ausgewertet hat, deuten darauf hin, dass der russische Kanal über Wagenknecht nicht nur ein russischsprachiges Publikum in Deutschland und Russland erreicht. In den letzten 30 Tagen wurde der Kanal zwar hauptsächlich in russischsprachigen Kanälen aus Russland, aber auch aus Italien, Frankreich und Brasilien erwähnt.
Privater Telegram-Kanal nicht mehr auffindbar
In einer weiterführenden #Faktenfuchs-Recherche fiel auch ein privater Telegram-Kanal auf, ebenfalls mit Wagenknechts Namen auf Russisch im Titel. Dieser ist mit über 14.500 Abonnenten deutlich größer als der öffentliche Kanal. Der Beitrittslink zum privaten Kanal ist allerdings abgelaufen, auf Telegram ist er nicht mehr auffindbar.
Doch der Kanal scheint weiterhin zu existieren: Über die Website TGStat, einem Katalog für Telegram-Inhalte, lässt sich eine Vorschau des Kanalverlaufs einsehen. Hier werden allgemeine Nachrichten und Werbeanzeigen auf Russisch geteilt. Treffer zu Wagenknecht oder dem BSW gibt es nur vereinzelt, zuletzt aus dem Oktober 2024.
Für Kuchta klares Zeichen, dass auch der private Kanal nicht von Wagenknecht oder ihrer Partei betrieben wird, die Inhalte wären seiner Meinung nach sonst identisch oder zumindest ähnlich zu denen ihres offiziellen Kanals. Dass der private Kanal nicht mehr auffindbar ist, liegt laut Kuchta wahrscheinlich an veränderten Privatsphäre-Einstellungen.
Fazit
Sahra Wagenknecht betreibt sehr wahrscheinlich keine russischsprachigen Kanäle zu ihrer Person auf Telegram. Zwar existieren Kanäle auf Russisch über Wagenknecht, sie bestreitet jedoch, selbst dahinterzustehen und auch Experten gehen davon aus, dass es sich um Fan-Kanäle handelt, die nicht von Wagenknecht oder ihrer Partei betrieben werden. Indizien dafür sind die Kanalbeschreibung, das unkoordinierte und unregelmäßige Post-Verhalten sowie ein kritischer Post zur Wahlniederlage des BSW.
Über dieses Thema berichtet: „Caren Miosga“, Das Erste, 09.03.2025, 21.45 Uhr.