Den Brief an die Berliner Koalitionsverhandler (externer Link) hat das „Who is Who“ der deutschen Wirtschaft unterschrieben: Der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Auto- und Maschinenbauer, die Handwerksverbände, die Familienunternehmer, um nur einige zu nennen. Ihre Wortwahl ist harsch: Deutschland rutsche in einen Abschwung, der sich mit all seinen negativen Folgen nicht mehr aufhalten lasse.
Bayerns Wirtschaft rutscht tatsächlich ab
Die neuesten Wirtschaftszahlen legen nahe, dass die Sorgen berechtigt sind. Die Zeiten, in denen Bayern zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Bundesländern gehörte, sind erst einmal vorbei. Im vergangenen Jahr ist die Wirtschaft um ein Prozent geschrumpft. Vor allem die Industrie erlitt einen Einbruch um 5,5 Prozent.
Besonders betroffen sind die Automobilindustrie und ihre Zulieferer. Große Unternehmen wie ZF Friedrichshafen, Brose aus Coburg oder Schaeffler in Herzogenaurach bauen immer mehr Stellen ab.
Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft warnt vor Arbeitslosigkeit
Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft warnt, die wirtschaftliche Lage habe sich dramatisch zugespitzt. Der Handelskonflikt mit den USA verschärfe die Situation so sehr, dass die Arbeitslosenzahl sich der 3-Millionen-Marke nähert. Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt sagt auf BR24-Anfrage: Es sei keine Zeit für Symbolpolitik oder parteipolitische Spielchen.
Industrie- und Handelskammertag: Schulden ohne Reformen ein Irrweg
Der Bayerische Industrie- und Handelskammertag BIHK ist mit fast einer Million Mitgliedern eine der größten Wirtschaftsorganisationen im Freistaat. Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl zeigt sich auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks enttäuscht: Das Klein-Klein der Verhandlungen werde der Krisensituation nicht gerecht. Schulden ohne Reformen seien ein Irrweg. Ein leistungsgerechteres Steuer- und Sozialsystem sei ebenso wichtig wie spürbar weniger Bürokratie, niedrigere Energiekosten und mehr Anreize für Arbeit und Investitionen.
Bayerischer Handwerkstag begrüßt die hohen Investitionen
Franz-Xaver Peteranderl vom Bayerischen Handwerkstag begrüßt die milliardenschweren Investitionen in die Infrastruktur. Wer so viel Geld ausgeben wolle, müsse dafür sorgen, dass die Aufträge effizient vergeben werden, dass die Betriebe mehr Planungssicherheit bekommen, so Peteranderl auf Anfrage von BR24. Gegenüber großen Unternehmen dürften die kleineren Handwerksbetriebe nicht benachteiligt werden. In den rund 100.000 bayerischen Handwerksbetrieben sind rund 950.000 Menschen beschäftigt.
Hotellerie fordert reduzierten Mehrwertsteuersatz
Thomas Geppert, der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes, hingegen hat Vertrauen in die Verhandlungsführer. Ihnen sei bewusst, dass Deutschland klare Entscheidungen und mutige Reformen brauche. Für seine Betriebe spricht er sich für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Speisen, weniger Bürokratie und für eine flexiblere Wochenarbeitszeit aus.
Deutliche Worte von Mittelstands-Verband
Unmissverständliche Worte findet auch Achim von Michel, der Sprecher vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft in Bayern: „Die Welt wartet nicht auf uns“, warnt er. „Wenn nicht endlich die Parteitaktik hinten angestellt wird, werden wir in vier Jahren ein anderes Land haben, in dem Extremisten und Polit-Hasardeure den Ton angeben.“
Gewerkschaften nehmen Arbeitgeber in die Pflicht
Bayerns Gewerkschaften dagegen nehmen die Arbeitgeber in die Pflicht. Horst Ott von der IG Metall befürwortet Investitionen in Brücken, den Ausbau der Stromnetze und insgesamt verbesserte Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Die neue Bundesregierung müsse den Menschen aber auch soziale Sicherheit geben. Nötig seien ein Tariftreuegesetz, ein höherer Mindestlohn, eine stabile Rente und eine stärkere Beteiligung von Gutverdienern und Vermögenden an der Finanzierung der staatlichen Aufgaben.
Unterstützt wird er von Bernhard Stiedl vom DGB Bayern. Er sagte dem BR: „Nur wer gute Löhne zahlt und für stabile Arbeitsverhältnisse sorgt, stärkt den sozialen Zusammenhalt und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.“