Gefrorenes Gras, geborstene Holzpaneele, eingeritzte Häftlingsnamen in der Backsteinmauer, Düsen und Rohre in den Gaskammern, Abdrücke, die Menschen an den Wänden von Einzelhaftzellen hinterlassen haben – oder Kinderzeichnungen, die im Konzentrationslager entstanden sind – es sind solche Detailaufnahmen, mit denen der Bildband „Auschwitz-Birkenau“ versucht, das Monströse heute noch fassbar zu machen.
Die Fotos stammen von Juergen Teller, einem gebürtigen Erlanger und weltweit großen Namen in der Modefotografie. Meist hat er Models und Stars für renommierte Lifestyle-Magazine vor der Linse.
Doch eine Dokumentation dieses Ortes, an dem zwischen 1940 und 1945 mehr als eine Million Menschen ermordet wurden, sei ihm nahezu als Verpflichtung erschienen, so Teller: „Ich habe einfach angefangen zu fotografieren, was ich vor meiner Seele und vor meinen Augen gesehen und für richtig gehalten habe.“
Über 800 Fotos haben es ins Buch geschafft
Keinerlei Inszenierung – sondern ungefiltert mit der Seele schauen und aufnehmen. Die einzige Vorgabe des Verlages sei gewesen, im Winter zu fotografieren, bei kaltem Licht. Drei Tage lang ist Teller dafür durch das Gelände gegangen und hat so gut wie alles fotografiert, was er sah – oft mehrere Bilder von einem Motiv.
Über 800 haben es ins Buch geschafft, der Bildband ist wie ein Rundgang – Gleise, Holzwaggon, Baracken, Wachtürme und Zäune, ein transportabler Galgen, Hagebuttenbüsche, Parkplatzhinweisschilder – aber auch die letzten Habseligkeiten der Ermordeten. Und immer wieder Jugendgruppen, die heute über das Gelände geführt werden.
Wegen ihnen, den jungen Leuten, die seine Fotos ansonsten nur von den Titelseiten der Hochglanzmagazine kennen, empfindet Teller dieses ungewöhnliche Dokumentationsprojekt als absolut dringend: „Ich fand es schon wichtig, dieses Projekt zu machen und hoffe mal, wenn ich [das] so sagen darf, durch meine Popularität, junge Leute damit zu konfrontieren, damit die das anschauen und ernst nehmen.“
Betont sachlich und unaufdringlich
Fast immer finden sich zwei querformatige Fotos pro Buchseite – in einem sandfarbenen kartonierten Einband: Eine betont sachliche und unaufdringliche Form für diese über ein Kilogramm schwere Chronologie des unvorstellbaren Grauens. Und wenn die Nahaufnahmen von Details beim Betrachten Rätsel aufgeben, hilft ein Index am Ende des Buches, beim Verstehen und Einordnen der Orte und Motive.
Die wenigen Textpassagen zwischen den Fotoblöcken, stammen von Christoph Heubner, Schriftsteller und Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees: „Wenn Du dieses Thema, diese Erinnerungen loslässt, bist Du selbst gefährdet in der jetzigen Zeit und in der Zukunft. Weil die Menschen offensichtlich nichts lernen – und Gesellschaften heute in Europa und andernorts schon wieder abbiegen, in Hass und Antisemitismus“, sagt Heubner.
Der Bildband „Auschwitz-Birkenau“ von Juergen Teller ist Zeugenschaft, vermittelt Demut und lässt, wie bei einem Besuch im Vernichtungslager, Fragen und Überforderung zu. Ein Bildband gegen das Vergessen.
„Auschwitz-Birkenau“ von Juergen Teller ist im Steidl Verlag erschienen und kostet 35 Euro.