Parthenope. Wer so einen Namen trägt, ist schlichtweg dazu verdammt, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Vielleicht sogar mehr als gesund ist. Der griechischen Mythologie zufolge lockte die Sirene Parthenope mit ihrem betörenden Gesang unzählige Seemänner ins Verderben. Nur Odysseus widersetzte sich ihren Verlockungen mit einer List. Was die so schmählich Ignorierte dermaßen erzürnte, dass sie mit einem Sprung ins Meer Selbstmord beging.
Aber das sind Geschichten von gestern, die Paolo Sorrentino lediglich als Basis für seine eigene Parthenope-Interpretation dienen. In seiner Abhandlung über die Gefahren der Schönheit ist die Titelfigur weit willensstärker als die Menschen, die ihrem Zauber verfallen.
Eine moderne Nymphe
1950 in einer Bucht vor Neapel zur Welt gebracht, ist Parthenope von Geburt an eine moderne Nymphe, ein geheimnisvoll lächelndes Wesen mit mystischer Aura. Kaum dass sie volljährig ist, sieht man sie zumeist in Meeresnähe im knappen Bikini oder im tief ausgeschnittenen Kleidchen ohne BH. Steigt sie aus dem Wasser, inszeniert Sorrentino diesen Moment gerne in Zeitlupe, denn klar: Die Welt steht still im Angesicht dieser überirdischen Kreatur, die allen den Kopf verdreht – dem Sohn der Haushälterin, dem eigenen Bruder, dem reichen Patenonkel.
Schlau ist Parthenope obendrein. Und weil sie sich für die Menschheit im Allgemeinen mehr interessiert als für ihre vielen faden Verehrer, studiert sie Anthropologie mit Schwerpunkt auf: „Kultur! Das sind alle materiellen und spirituellen Werte. Sie bildet also die Gesamtheit der gesellschaftlichen Probleme ab. Vom Profanen wie der Nahrungssuche bis zur Erschaffung von Kunstwerken“, sagt Parthenope im Film. Ein Kunstwerk schaffen, das will auch Leinwand-Maestro Paolo Sorrentino.
Opulent sind die Bilder, die Kamerafrau Daria D’Antonio an den sonnengefluteten Stränden und Straßen von Sorrentinos Heimatstadt Neapel oder auf Capri gedreht hat. Handlung und Dialoge ähneln einmal mehr einem philosophischen Traktat, in dem die Hauptfigur das Publikum mit existenziellen Gedanken konfrontiert. Im Zentrum steht wie so oft bei Sorrentino die Liebe als Dreh- und Angelpunkt menschlichen Handelns, das gefährliche Zusammenspiel von Verlangen und Verderben. Und obendrein: die Schönheit des Lebens, das die Jugend in ihrer Selbstbezogenheit kaum zu schätzen weiß.
Faible für groteske Überspitzungen
Entsprechend sind Parthenopes Lehrmeister vor allem verkrachte Vaterfiguren. Sei es ein lüsterner Möchtegern-Papst oder ein depressiver und alkoholkranker Schriftsteller, gespielt von Gary Oldman. Der bereichert „Parthenope“ nur kurz mit seinen elegant hingenuschelten Lebensweisheiten.
Oldman bleibt umso mehr im Gedächtnis, da der Film nach seinem Auftritt zunehmend ins Episodische abdriftet und Sorrentino sein Faible für groteske Überspitzungen auslebt. Sie dienen wie die penetrant in Szene gesetzte Schönheit von Hauptdarstellerin Celeste Dalla Porta als Lockmittel, um hinzuschauen – denn das ist die Kernbotschaft des Films: Das Wesen der Menschheit wird nur von jenen erkannt, die gelernt haben hinzusehen. Hier dürfte das schwerfallen. Denn allzu oft verleitet die bedeutungsschwangere Inszenierung dazu, die Augen zu verdrehen.