Es ist ein Album, das beginnt, wie manch ein Springsteen-Album endet: Ganz leise – mit einem fast zärtlichen Blick auf eine zerrüttete Existenz. Die Protagonistin ist gestrauchelt, mal wieder. Auf dem Weg aus der Sucht und ganz konkret auf den Stufen der Veranda. “Ein Leben lang versuchst du clean zu werden und landest doch wieder im Dreck”, singt sie.
Julien Baker, die hier singt, hat als lesbische Frau im konservativen Tennessee keine einfache Jugend gehabt. Immer wieder hat sie selbst mit Abhängigkeit gekämpft. Heute, mit 29, ist sie nüchtern und clean und als Musikerin bereits hoch dekoriert: Mit ihrer Indierock-Band Boygenius hat sie drei Grammys erhalten.
Country als Herausforderung
Auch ihre musikalische Partnerin Mackenzie Scott, 34, Künstlername Torres, kommt aus dem Indierock – und einer gottesfürchtigen Familie. Als non-binäre und queere Person hat sie sich beim sonntäglichen Kirchenbesuch in Georgia oft unverstanden und emotional allein gefühlt. Es war ihre Idee, ein gemeinsames Country-Album aufzunehmen. Und die beiden harmonieren tatsächlich perfekt, als hätten sie schon immer zusammen Musik gemacht:
Die Frage, ob Julien Baker Lust auf ein Country-Album habe, schickte Torres während der Pandemie per Mail – halb im Scherz, um sich für eine mögliche Absage zu wappnen. Aber Baker hat sofort zugesagt, obwohl sie eine durchaus zwiespältige Beziehung zu dem oft intoleranten Genre hat wie sie im LSQ-Podcast erzählt: “Als Kind steckte ich tief in dem ganzen Countrymusik-Milieu drin, und da hab ich’s gehasst. Ich fand es langweilig und es hat mir nicht gefallen. Aber im Laufe meines Lebens habe ich Popmusik mehr zu schätzen gelernt – und ich war in Nashville umgeben von Leuten, die aus dieser Welt kamen. Also dachte ich, vielleicht ist ein Country-Album zur Abwechslung für mich ja eine spannende künstlerische Aufgabe.“
Hier mieft nichts mehr
Ein Country-Album als künstlerische Aufgabe. Wer auf Protestsongs hofft, wird enttäuscht. “Send a Prayer my Way” ist nicht wütend, gesellschaftskritisch, politisch. Es ist einfach ein wunderschönes Country Album, das auch inhaltlich alle genre-typischen Register zieht: Hunde und Highways, Trauer und Trunkenheit, Liebe und Verlust.
Doch gerade die Selbstverständlichkeit, die Gelassenheit, mit der Julien Baker und Torres die Geschichten aus ihrer, aus queerer Perspektive erzählen, ist dann doch ein bisschen revolutionär.
Wenn das Country ist, dann mieft hier wirklich gar nichts mehr nach “rückständig” oder “reaktionär”.
Wenn das Country ist, ist jede und jeder willkommen. Wie irrelevant dann plötzlich die Frage in der amerikanischen Daily Show ist, ob das “queerer Country” sei? Wenn’s sein muss, sagt Torres, dann vertritt sie das auch mit Stolz. Wenn’s aber nach ihr ginge, ist das Album, was es ist: einfach Country Musik.