München am Olympia-Einkaufszentrum – wenn man dort junge Menschen fragt, was sie nach dem Schulabschluss machen, dann sagen die meisten: eine Ausbildung. „Ich will selbstständig sein und eigenes Geld verdienen“, sagt eine junge Frau. Eine andere erzählt: „Ich mache eine Ausbildung als Erzieherin. Da sind meine Stärken.“ – „Ich möchte eine Ausbildung als Elektroniker oder Anlagenmechaniker machen. Ich sehe darin viel Potenzial“, sagt ein junger Mann.
Bertelsmann-Studie: Viele Jugendliche machen keine Ausbildung
Aber nach der Schule ohne Ausbildung direkt arbeiten? „Ich habe Kollegen, die zwei oder drei Jahre gearbeitet haben, um Geld auf die Seite zu legen. Sie wollten sich dann selbstständig machen.“ – „Mein Freund hat eine Ausbildung angefangen und abgebrochen, weil er zu wenig Geld verdient hat. Der Chef hat ihn dann festangestellt.“ – „In meiner Klasse hat ein Junge keine Lust auf eine Ausbildung und arbeitet bei seinem Vater in der Firma.“
Nach der Schule erstmal Geld verdienen – und dann, mal sehen. So denkt laut einer Bertelsmann-Studie fast jeder fünfte Jugendliche in Deutschland. Jobben statt Ausbildung klingt für viele wie ein nachvollziehbarer Wunsch, die Autoren der Bertelsmann-Studie alarmiert es.
Erziehungswissenschaftlerin Helen Renk sagt: „Diese Menschen haben schlechtere Zukunftschancen.“ Die Gefahr, langfristig keine qualifizierte Berufsausbildung zu absolvieren, sei groß. Und damit auch die Gefahr, im Niedriglohnsektor zu verharren. Denn ein Job, der keine Berufsausbildung voraussetzt, sei schlechter bezahlt.
Auch Andrea Nahles von der Bundesagentur für Arbeit warnt: „Wir können am ganzen Lebensweg sehen, dass Menschen ohne Ausbildung viel häufiger arbeitslos werden.“ Dem gegenüber steht der Fachkräftemangel in Deutschland: Laut Institut der Deutschen Wirtschaft könnten 2028 rund 770.000 Stellen nicht mit ausreichend qualifizierten Fachkräften besetzt werden.
Schüler fürchten, nicht qualifiziert genug zu sein
Laut der Studie sind Probleme bei der Ausbildungssuche und zu wenig berufliche Orientierung die Hauptgründe dafür, dass sich viele junge Menschen zunächst lieber einen Job suchen als eine Ausbildung.
Dabei unterscheiden sich die Gründe je nach Schulabschluss: wer einen höheren Abschluss hat, sei häufig mit der Vielzahl der Angebote überfordert. Menschen mit niedrigem Schulabschluss hätten vermehrt Probleme damit, eine Bewerbung zu verfassen und fürchten, dass sie nötige Qualifikationen nicht mitbringen: daran zweifelt laut Studie ein Drittel der Schülerinnen und Schüler mit niedrigem Bildungsniveau.
Jugendforscherin: „Jungen Menschen geht es um mehr als den Bildungsweg“
Aus Sicht der Jugendforscherin Lisa Hasenbein können aber auch andere Gründe eine Rolle spielen, weshalb junge Menschen nicht konsequent ihren Bildungsweg nach der Schule weiterverfolgen. Dies sei zwar ein Ziel von Jugendlichen, aber nur eines von vielen.
Zentrale Fragen des Erwachsen-Werdens seien eben auch: Welche Werte sind mir wichtig und wie und mit wem möchte ich leben. Da könne die Frage nach dem richtigen Ausbildungsplatz auch zunächst hinten angestellt werden.
Hasenbein untersucht die Lebenswelten von Jugendlichen am Deutschen Jugendinstitut in München und betont: Nach der Schule bräuchten viele eine Pause, um sich andere soziale Kontexte zu erschließen. Statt wieder von einem Lern-Umfeld umgeben zu sein, möchten viele die Arbeitswelt kennenlernen – und das Gefühl haben, unabhängig zu sein, auch finanziell.
Berufswahl braucht Orientierung: Schulen in der Pflicht
Allerdings betont die Jugendforscherin auch: Dass viele junge Menschen sich nach der Schule offenbar nicht bereit fühlen, eine Berufsausbildung zu machen, könne auch ein Hinweis darauf sein, dass die nötige Orientierung fehlt. Hier seien Schulen in der Pflicht, ausreichend Einblicke in Berufe zu geben, etwa über Praktika und Unternehmensbesuche.