Paracetamol gehört zu den am häufigsten eingesetzten Schmerz- und Fiebermitteln – auch in der Schwangerschaft. In den USA forderte die Regierung zuletzt deutliche Warnhinweise für Schwangere. Der Grund: Studien, die einen Zusammenhang zwischen Paracetamol und einem erhöhten Autismus-Risiko bei Kindern nahelegen.
Studienlage zu Paracetamol und Autismus widersprüchlich
Doch deutsche Fachleute sehen dafür bisher keine gesicherten Belege. „Einige Studien legten einen Zusammenhang nahe, andere nicht“, erklärt Stefan Ehrlich, Professor für Psychosoziale Medizin am Universitätsklinikum Dresden.
Das Problem sei die Qualität der Daten: „Das ist ja jetzt kein ganz neues Thema, dass es da epidemiologische Daten gibt, die aber in erster Linie korrelativ sind. Und selbst, wenn man sich nur diese Korrelation anschaut oder dass zwei Dinge gleichzeitig auftreten, auch das ist ja nicht über alle Studien hinweg eindeutig.“
Experten empfehlen Umsicht – keine Panik
Nach Einschätzung Ehrlichs lässt sich deshalb derzeit kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Paracetamol-Einnahme in der Schwangerschaft und Autismus ableiten. „Es braucht bessere Daten, bessere Studien. Gleichzeitig kann man natürlich schon sagen: Wenn man denn Paracetamol in der Schwangerschaft unbedingt einsetzen will, dass man das so kurz und moderat dosiert wie möglich machen sollte. Auch wenn der Zusammenhang im Moment noch nicht eindeutig ist, ganz wegschieben würde ich es auch nicht. Aber man sollte jetzt auch keine Panik machen.“
Autismus ist eine neurologische Entwicklungsvariante. Betroffene Menschen denken und fühlen oft anders oder haben Schwierigkeiten in sozialen Situationen. Die Ursachen sind komplex und bislang nicht vollständig verstanden.
Zusammenspiel komplexer Faktoren
Sven Bölte, Leiter des Zentrums für Entwicklungsstörungen am Karolinska-Institut in Stockholm, betont: „Sehr wahrscheinlich ist die Ursache ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren – unter anderem genetischer und von Umweltfaktoren.“ Studien zufolge könnten Gene dabei bis zu 80 Prozent ausmachen. „Das heißt nicht, dass es immer bei jeder einzelnen Person 70 bis 80 Prozent sind, sondern über die ganze Gruppe hinweg. Also gibt es wahrscheinlich auch irgendwie Raum für Umweltfaktoren“, so Bölte.
Viele mögliche Einflussgrößen wurden bereits untersucht. Doch, so der Forscher: „Die allermeisten Faktoren haben einen sehr, sehr, sehr kleinen Effekt.“ Auch Medikamente wie Paracetamol gehören dazu.
Statistisches Phänomen statt Anstieg
Die Zahl der Autismus-Diagnosen ist in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen. Laut Bölte sei das aber vor allem ein statistisches Phänomen: „Das Ausmaß an autistischen Verhaltensweisen oder Symptomen ist den letzten 20 Jahren konstant geblieben. Aber die Anzahl der Diagnosen ist gestiegen. Und da gibt es eine ganze Reihe von Erklärungen.“
Zu diesen Erklärungen zählt auch, dass Diagnosekriterien heute breiter ausgelegt werden. „Wir sehen keinen rein biologischen Faktor, also keinen eindeutigen, der den Anstieg erklären könnte“, so Bölte.
Leucovorin: Experten warnen vor überzogenen Hoffnungen
Forscher warnen daher davor, Paracetamol voreilig für den Anstieg von Autismus verantwortlich zu machen. Zwar sei es sinnvoll, Schmerzmittel in der Schwangerschaft nur zurückhaltend und gezielt einzusetzen. Doch seriöse Belege für ein erhöhtes Risiko fehlen bisher.
Bölte warnt auch vor falschen Hoffnungen durch andere Präparate, die teils in den USA diskutiert werden – wie das Medikament Leucovorin, von dem in Washington verkündet wurde, es könne einigen Kindern mit Autismus helfen. „Das ist so eine Substanz, die kann verbessern, dass es mehr Folsäure zentralnervös gibt. Das kann man durchaus betrachten, aber da ist die Datenlage unglaublich dünn. Also das ist nichts, [bei dem] ein seriöser Forscher sagen würde, damit geht man an die Öffentlichkeit und empfiehlt irgendetwas.“
Die Fachwelt ist sich einig: Erst bessere Studien können klären, ob Paracetamol in der Schwangerschaft tatsächlich das Autismus-Risiko beeinflusst.