Der Bundeskanzler hat es diese Woche in der Generaldebatte im Bundestag erneut betont: Deutschland brauche Wirtschaftswachstum. „Nur in einer auf Wachstum ausgerichteten Volkswirtschaft werden die Mittel gewonnen, die wir brauchen, um Infrastruktur zu finanzieren, Solidarität zu üben und soziale Sicherheit auf Dauer zu gewährleisten.“ Nach der Herbstprognose, die jetzt mehrere führende Wirtschaftsforschungsinstitute vorgelegt haben, kann Friedrich Merz (CDU) und seine schwarz-rote Regierungskoalition aufatmen.
Wirtschaftswachstum ab 2026 erwartet
Zwar erwarten die Ökonomen für das laufende Jahr nur ein mageres Wachstum von 0,2 Prozent, aber 2026 soll die Wirtschaft nach einem längeren Konjunkturtief wieder spürbar wachsen. Das Bruttoinlandsprodukt werde um 1,3 Prozent zulegen, heißt es im Gutachten der Experten. 2027 dürfte die Konjunktur um weitere 1,4 Prozent anziehen.
Der Grund seien vor allem die Milliardenausgaben der Bundesregierung. Gemeint ist das 500 Milliarden Euro schwere und mit Schulden finanzierte Sondervermögen für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und den Klimaschutz. Es geht um die Sanierung maroder Brücken, Bahnstrecken und Schulen, aber auch um mehr Geld für Kitas oder eine bessere Digitalisierung. Damit die Gelder schnell fließen, sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. So komme die Binnenwirtschaft spürbar in Fahrt, heißt es in dem Gutachten unter anderem vom Münchner Ifo-Institut, dem Kiel Institut für Weltwirtschaft und dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle.
Export schwächelt weiterhin
Trotz dieser positiven Nachrichten sehen die Fachleute allerdings keinen Grund, sich zu entspannen. Denn „angesichts anhaltender struktureller Schwächen wird diese Dynamik nicht von Dauer sein“, warnt Geraldine Dany-Knedlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die Mehrausgaben des Staates durch das Sondervermögen seien zentral und führten dazu, dass die Binnenwirtschaft anziehe. Allerdings: Sorgenkind bleibe die Nachfrage nach deutschen Waren im Ausland – wegen schwindender Wettbewerbsfähigkeit und höherer Zölle.
Ökonomen: Milliardeninvestitionen kaschieren Strukturprobleme
Die hohen Investitionen des Staates würden die strukturellen Probleme bisher nur kaschieren, bilanzieren die Forscher. Sie fordern die Bundesregierung auf, mehr zu tun, um den Wirtschaftsstandort und die Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen. Die Liste der gewünschten Reformen ist lang. Den größten Bedarf sehen die Experten bei den Sozialsystemen wie der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Nehme die deutsche Wettbewerbsfähigkeit weiter ab, könnten sich die positiven Wachstumsaussichten schnell in Luft auflösen.
Die Ökonomen schlagen außerdem vor, Arbeitsanreize für Ältere zu stärken. Bei der Energiewende sollte mehr auf Preissignale gesetzt werden. Die öffentliche Verwaltung müsse digitaler werden. Mit Blick auf Milliardenlücken im Bundeshaushalt 2027 sprechen sich die Gutachter gegen Steuererhöhungen aus. Stattdessen sollten die Staatsausgaben gesenkt werden.
Druck auf Regierungskoalition
Manche Finanzexperten und die FDP sehen sich in ihrer Kritik an der Finanzpolitik von Union und SPD bestätigt. FDP-Generalsekretärin Nicole Büttner sagt: „Die Schuldenpolitik von Schwarz-Rot ist ein teures Strohfeuer.“ Es werde mit Staatsgeld kurzfristig Wachstum vorgetäuscht.
Auf die Regierungskoalition üben die eigentlich positive Herbstprognose und die damit verbundenen Forderungen einen zusätzlichen Druck aus. Der Kanzler kündigte in der Generaldebatte im Bundestag Tempo bei dem von ihm ausgerufenen „Herbst der Reformen“ an. Es brauche grundlegende Änderungen, mahnte Merz. Doch bisher hat die Regierung die Suche nach Reformlösungen in Kommissionen ausgelagert. Von Beschlüssen sind Union und SPD noch weit entfernt.