Laut der Modezeitschrift „Cosmopolitan“ ist es „das kontroverseste Dirndl„(externer Link) der diesjährigen Saison: das seit kurzem erhältliche Dirndl von Adidas, lieferbar in Schwarz und Weiß, wobei viele Größen auf der Homepage des Sportwaren-Herstellers schon ausverkauft sind. Was ist dran an der Aufregung?
Platzpatrone „Wiesn-Tracht“-Tradition
Bayerische Traditionalisten, wie zum Beispiel die in Berlin erscheinende Tageszeitung „Welt“, beklagen ein „Verhunzen“ (externer Link) und sehen reines Profitstreben am Werk: „Echte Verbundenheit mit bayerischer Tradition sieht anders aus. Statt der jahrhundertealten Symbolik von Tracht scheint es hier vor allem um den schnellen Profit zu gehen. Kultur wird zur Ware, Identität zum Produkt.“
Unter einem Video der Münchner Influencerin Lina Sophie (externer Link), die ihr sportliches Dirndl zur Schau stellt, ist auch nicht jeder ein Fan: „Auf dem Land wäre das nichts“, heißt es da. Statt so einem Kleid „könnte man mit einem Jogginganzug auch gleich gehen“. Für manche wäre es sogar „fast schon eine Beleidigung“, so etwas zu tragen.
Offenbar hat sich nicht herumgesprochen, dass das Dirndl keineswegs mit einer jahrhundertelangen Tradition aufwartet, sondern eine Erfindung des 19. Jahrhundert ist. Die Modehistorikerin Simone Egger erklärt: „Das kam so, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts München wirklich zu einer Großstadt geworden ist. Vor allen Dingen, weil junge Menschen aus dem Umland zugezogen sind, die auf der Suche nach Arbeit waren. Und von ihrem Verdienst haben sie sich dann so etwas gekauft. Und das haben sie wieder mit ins Oberland transportiert, wo wir es heute in der Form noch sehen.“
Die Wiesn-„Tracht“ kommt nicht vom Dorf, sondern war erst Sommerbekleidung für die städtische, modische Dame, bevor es dann ins Oberland wanderte und dort mit Silberkette und schwarzem Mieder bis heute getragen wird. Das schwere Geschütz, eine kulturelle Tradition missbraucht zu haben, ist also eher eine Platzpatrone.
Logo? Mehr davon!
Wie sieht denn das Sport-Festgewand nun eigentlich aus? Es gibt es nur in den zwei Varianten – weiß und schwarz, als Zweiteiler: Kleid mit Ärmeln und Schürze. Hervorstechendes Merkmal: sehr, sehr viel Logo. Natürlich die drei Streifen auf dem Oberteil, die Schürze über und über bedeckt mit dem blattförmigen Logo, das natürlich auch am Reißverschluss prangt.
Das zitiert einen nicht ganz taufrischen Trend der Modeindustrie der letzten Jahre, nämlich das Firmenlogo sehr groß, mit Strass oder als Muster überall auf die Handtasche oder den Trainingsanzug zu drucken. Lange Zeit haben Louis Vuitton oder Gucci damit Geld gescheffelt, allerdings fallen ihre Umsätze gerade.
Quiet luxury ist das Adidas-Dirndl also nicht. Noch dazu, da auf der Firmenseite das Sport-Gewand mit Turnschuhen und Socken mit noch mehr Logo als Ausgeh-Outfit empfohlen wird. Die mutmaßliche Zielgruppe: Der Prenzlauer-Berg-Hippster, der mit einem ironischen Lächeln auf die Wiesn geht. Aber die Wiesn-Wirte haben ein großes Herz, die lassen mutmaßlich auch die Spree-Franken-Dirndl rein.
Ein „bierfestes“ Dirndl
Adidas ist nicht das einzige Streetware-Label, das sich versucht zu diversifizieren, also mehr Märkte als den Sportplatz für sich zu gewinnen. Auch das Label Highsnobiety hat zusammen mit Lodenfrey ein Dirndl designt – als Teil einer größeren Oktoberfest-Kollektion. Es wirbt damit, dass ihr Dirndl dank Gore-Tex „beer-proof“, also bierfest sei. Allerdings wurde das gute Stück nur in drei Exemplaren hergestellt, ist also eher Marketing als Marktlücke.