Reiche römische Villenbesitzer ließen sich gern Mosaike von blutigen Gladiatorenkämpfen anfertigen, darunter auch exotische Tierhatzen mit Löwen, Elefanten, Stieren, Bären und Wildschweinen. Es wurden auch einige Steinskulpturen mit solchen Szenen ausgegraben, und bei Schriftstellern wie Martial (40 bis ca. 103 nach Christus) finden sich so detaillierte wie brutale Beschreibungen solcher Duelle zwischen Mensch und Tier, etwa im Flavischen Amphitheater von Rom („Kolosseum“): „Wie sehr wünschtest du, Dädalus, als der lukanische Bär dich so zerfleischte, du hättest jetzt deine Flügel gehabt!“
Carpophorus war in der Arena ein Super-Star
Martial berichtet von den beiden berühmten Tierkämpfern Myrinus und Triumphus und beschreibt, wie der „junge Carpophorus“ einen Löwen mit der Lanze erledigt, nachdem er zuvor Büffel und Stiere getötet hatte. Überliefert ist außerdem die Hinrichtung eines Laureolus durch einen Bären („Seine zerfetzten Glieder lebten noch, während er verblutete“) und ein Mysterienspiel, das außer Kontrolle geriet: Der Darsteller des Sängers Orpheus fiel dabei ebenfalls einem „undankbaren“ Bären zum Opfer, der eigentlich nur als „Statist“ eingeplant gewesen war.
Was bisher fehlte: Ein Skelettfund, der die aus Kunst und Literatur bekannten antiken Spektakel beglaubigt. Jetzt veröffentlichten der britische Anthropologe Tim Thompson und sein Team die Ergebnisse einer aufwändigen Untersuchung an menschlichen Knochen (externer Link) in der angesehenen „Public Library of Science“ (PLOS). Das analysierte Skelett war bereits vor zwanzig Jahren in einer römischen Grabstätte im nordenglischen York freigelegt worden.
„Erster physischer Beweis Mensch-Tier-Kämpfe“
Es habe „ungewöhnliche Verletzungen“ davon getragen, so das Fazit der Studie: „Nähere Untersuchungen, darunter auch vergleichende Analysen moderner zoologischer Einrichtungen, haben gezeigt, dass diese Spuren von aasfressenden Großkatzen stammen. Somit präsentieren wir den ersten physischen Beweis für Gladiatorenkämpfe zwischen Mensch und Tier aus der Römerzeit, der in ganz Europa gefunden wurde.“
Die Studie machte weltweit Schlagzeilen, auch in der „New York Times“. Wie es von Thompsons Team heißt, gab es bisher im türkischen Ephesus lediglich einige Funde von Gladiatoren-Skeletten, die Spuren bewaffneter Kämpfe trugen: „Diese Verletzungen wurden durch eine Kombination aus stumpfen und scharfen Gewalteinwirkungen verursacht und passten alle zu der Art von zwischenmenschlichem Kampf, der laut Beschreibungen oder Darstellungen in der Gladiatorenarena stattgefunden hat.“
„Aasfresser um den Todeszeitpunkt“
Knochenfunde, die auf Tierkämpfe („venationes“) oder Hinrichtungen durch Tiere („damnatio ad bestias“) hindeuteten, gab es demnach bis jetzt nicht, von jüngst entdeckten Tierknochen in der Kanalisation des „Kolosseums“ (externer Link) mal abgesehen. Erst mit „Individuum 6DT19“ aus dem römischen Friedhof in Driffield Terrace in York soll es dafür nun einen direkten physischen Beleg geben. Es habe sich um einen jüngeren Mann zwischen 26 und 35 Jahren gehandelt, der ausweislich einer Isotopen-Analyse aus wärmeren Gegenden stammte, aus dem Süden Englands, womöglich aber auch aus dem Mittelmeer-Gebiet.
Der Mann wurde enthauptet und trug am Becken „Bissspuren von Fleischfressern“. Zum Vergleich wurden spezifische Biss-Merkmale von Geparden, Löwen, Tigern und Leoparden aus Zoologischen Gärten herangezogen. Hunde oder Bären töteten ihre Beute gänzlich anders: „Die Tatsache, dass sich die Spuren ausschließlich am Becken befanden, deutet darauf hin, dass sie nicht Teil eines Angriffs an sich waren, sondern eher das Ergebnis von Aasfressen um den Todeszeitpunkt. Die Enthauptung dieses Individuums geschah wahrscheinlich entweder, um es zum Zeitpunkt des Todes von seinem Leid zu erlösen oder um dem üblichen Brauch zu entsprechen.“
„Kaiser als Veranstalter nicht auszuschließen“
Thompson und seine Kollegen verweisen darauf, dass Tierhatzen eine wichtige soziale Funktion hatten und einerseits zur „Truppenbetreuung“ römischer Legionäre gehörten, aber auch ein PR-Instrument der römischen Elite waren, um sich beim Volk beliebt zu machen. Dabei spielten die hohen Kosten für den Langstrecken-Transport exotischer Tiere offenbar keine Rolle.
Die Kaiser seien um Tier-Nachschub bisweilen fast so besorgt gewesen wie um die Beschaffung von Grundnahrungsmitteln: „In einer Stadt wie York ist der Kaiser selbst als Veranstalter von solchen Spielen nicht auszuschließen, sei es persönlich oder durch den Provinzgouverneur in seinem Namen. Er rechnete damit, dass die Anwesenheit eines Löwen, sei es in einer Kampf-Show oder einer beispielhaften Präsentation, sowohl die Erinnerung an seine Autorität als auch an seine Großzügigkeit prägte.“