„Die Idee, den Zugang zu kritischen Websites zu beschränken, scheint kein eindeutiges Indiz für einen Erfolg im ‚Informationskrieg‘ zu sein“, spottete der St. Petersburger Politologe Michail Winogradow [externer Link] über ein neues russisches Gesetz, wonach der Aufruf „extremistischer“ Inhalte im Netz ab 1. September unter Strafe stehen soll, wie auch VPN-Verbindungen, mit denen sich die Zensur technisch umgehen lässt. Das entsprechende Vorhaben des Kremls sorgte für eine Wutwelle in der russischen Netzgemeinde.
„Geldstrafe, erst einmal“
„Bevor Sie im Internet recherchieren, sollten Sie die Liste extremistischer Materialien [des Justizministeriums] prüfen. Machen Sie sie zu Ihrem Nachschlagewerk“, empfahl Politologe Georgi Bovt ironisch [externer Link]: „Im nächsten Schritt sollten Sie nur noch Seiten lesen, die ausdrücklich als erlaubt gekennzeichnet sind. Alles andere ist unter Androhung einer Geldstrafe verboten. Eine Geldstrafe, erst einmal. Schade, dass der alte Ray Bradbury diejenigen nicht mehr erlebt hat, die seine kühnsten Fantasien aus dem Roman ‚Fahrenheit 451‘ übertreffen.“ In dem 1953 erschienenen Science-Fiction-Bestseller geht es um einen utopischen Staat, in dem Bücher verboten sind und selbstständiges Denken unter Strafe steht.
„Hackschnitzel werden nicht sortiert“
Russische Anwälte sprechen von einer „Netzpolizei“, die eingeführt werden solle. „Die Situation bewegt sich in Richtung eines Übergangs zu Tastentelefonen und einer Selbstzensur der Internetnutzung als zuverlässigster Garantie dafür, nicht unter die Dampfwalze eines Systems zu geraten, das die Wälder abholzt, ohne die Hackschnitzel zu sortieren“, so Polit-Blogger Dmitri Sewrjukow [externer Link]. „Ermutigend“ sei allein die Tatsache, dass die russischen Abgeordneten die Zensurverschärfung still und leise durchgesetzt hätten: „Das bedeutet, dass die Abgeordneten sich mit der Einführung einer solchen Neuerung nicht ganz wohl fühlen und unnötigen Lärm und Unruhe im Vorfeld vermeiden wollten.“
Publizist Maxim Schewtschenko verwies darauf [externer Link], dass russische IT-Entwickler und Ingenieure, speziell in der Drohnen-Fertigung, ihre Berufe an den Nagel hängen könnten: „Es ist unmöglich, Software, die in Russland nicht verfügbar ist, aus dem Netz herunterzuladen, um westliche Sanktionen zu umgehen, ohne ein VPN zu verwenden!!! Stellen Sie sich die Aussichten vor – eine VPN-Zugangserlaubnis ist mit einer Arbeitserlaubnis für Migranten vergleichbar. Ein weites Feld für verschiedene Arten von Genehmigungstätigkeiten!“
„Zeit vergeht im Flug – rückwärts“
Polit-Kommentator Andrei Kalitin fragte sich und seine Leser [externer Link]: „Hat der Staat wirklich so viel Angst vor seinem eigenen Volk, dass er es für Suchanfragen bestrafen will? Es scheint so.“ In Russland vergehe die Zeit wie im Flug, „nur rückwärts“, so der Kolumnist sarkastisch.