Angespannt sitzen sie da, die Arme eng angewinkelt, mal auf den Stockbetten in der Zelle, mal an einem brauen Resopaltisch. Volodymyr Zolkin muss seine Interviewpartner aufmuntern, dass sie es sich ruhig bequem machen können. Die steife Atmosphäre der Gespräche will sich jedoch nicht auflockern: Volodymyr Zolkin interviewt russische Kriegsgefangene in der Ukraine.
Sie sind blass, hager, kahlgeschoren, manche haben kaum Zähne im Mund, die deklassierten Verhältnisse, denen sie entstammen, sind ihnen ins Gesicht geschrieben. Warum er den Vertrag für den Kriegsdienst unterschrieben habe, wird einer gefragt. Weil ihm mehrere Jahre Gefängnis gedroht hätten, antwortet er.
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Der Krieg bekommt ein Gesicht
Die Hintergründe des Krieges bekommen plötzlich ein Gesicht. Seit nunmehr drei Jahren führt der ukrainische Blogger Volodymyr Zolkin Videointerviews mit gefangengenommenen russischen Soldaten. Er hat sich damit auf YouTube ein Millionenpublikum aufgebaut, auch in Russland werden diese Interviews zigtausendfach angeklickt. Für Angehörige sind die Gefangenengespräche eine Quelle der Information, ob der Sohn oder Ehemann noch lebt.
Wer sich für das Interview mit Zolkin bereit erklärt, darf vor laufender Kamera zu Hause anrufen und kurz mit der Familie sprechen. Volodymyr Zolkin schaltet sich gern davor. Und eine Mutter fleht ihn an: „Geben sie mir meinen Sohn zurück. Setzen Sie ihn auf die Liste für den Austausch. Bitte geben Sie ihn mir zurück. Er geht nie wieder in diesen Krieg. In überhaupt keinen Krieg. Unsere einfachen armen Menschen trifft überhaupt keine Schuld!“
Volodymyr Zolkin will der Welt vorführen, wie Russen ticken, er will Einblick geben in die Kriegsgesellschaft, deshalb werden manche Interviews auch ins Deutsche oder Englische übersetzt. Auf der anderen Seite sollen die Interviews Kriegswillige warnen: die Gefangenen erzählen von Hunger, schlechter Ausrüstung, Willkür und zynischer Kriegslogik. Auf die Schlüsselfrage, warum sie in einem anderen Land Menschen töten, haben sie keine Antwort.
Kampfansage an die russische Propaganda
Zolkins Interviews sind eine Kampfansage an die russische Propaganda. Doch auch Voyeurismus und Häme spielen eine Rolle. Markante Äußerungen der Kriegsgefangenen postet Zolkin unter anderem auf seiner Facebook-Seite – zur Belustigung Tausender. Den Vorwurf, gegen die Genfer Konvention zu verstoßen, die vorsieht, dass Kriegsgefangene nicht in der Öffentlichkeit gezeigt werden dürfen, weist Zolkin dennoch kategorisch zurück. Die Soldaten melden sich ja vermeintlich freiwillig zum Interview, über das Setting ist allerdings wenig bekannt.
Die Männer wirken angespannt, Zolkins Ton ist oft suggestiv und autoritär, sie sollen sagen, was er von ihnen hören will. Gleichzeitig dürfen sie nichts sagen, wofür sie in Russland zur Verantwortung gezogen werden könnten. In mehrfacher Hinsicht gefangen, offenbaren die Männer dennoch einen Teil ihrer Geschichte. Es sind ganz und gar Geschichten der Anderen. Durch das Zuhören aber werden sie auch ein Teil unserer Geschichte.