Am Anfang von „Like A Complete Unknown“ kommt ein junger Niemand mit Gitarrenkoffer nach Manhattan. Am Ende des Films verlässt ein Rebell auf einem Triumph-Motorrad ein Folk-Music-Festival, auf dem er gerade für einen Riesen-Skandal gesorgt hat. Das ist der Zeitraum, den Regisseur James Mangold für sein Dylan-Bio-Pic gewählt hat: Die ersten New Yorker Jahre des späteren Literaturnobelpreisträgers, in denen sich Dylan als Wunderknabe des Songwriting erweist. Mit unglaublich poetischen Liedtexten und Protestsongs, die Weltkulturerbe sind, verändert er die Popmusik ein für alle Mal. Der Zeitraum beinhaltet auch Dylans erste Häutung, vom Folkie zum Rockstar. Wir sehen, wie Dylan in New York Kontakt aufnimmt mit künstlerischen Vorläufern wie Woody Guthrie und der gleichaltrigen Joan Baez, damals die Queen of Folkmusic.
Fünf Jahre Vorbereitung auf die Rolle als Bob Dylan
Dylan wird rasch zum Star der Gegenkultur und wendet sich gegen die Selbstgefälligkeit der puristischen Folkszene. Denn Bobby Dylan will auch, wie die Beatles oder die Rolling Stones, E-Gitarre spielen, was von seinem Publikum als Verrat empfunden wird. Über fünf Jahre hat sich Hauptdarsteller Timothée Chalamet auf die Rolle vorbereitet, akribisch den störrischen Troubadour, der sich Bob Dylan nennt, studiert, sich seine Marotten, sein Gitarrenspiel und seinen verschrobenen Gesangs- und Sprechstil draufgeschafft und anverwandelt.
Verblüffend, ja fast gespenstisch, wie nahe er Dylan kommt – nicht nur in den Musikszenen. Eine Glanzleistung! Überhaupt ist „Like A Complete Unknown“ grandios besetzt: Oscarverdächtig auch, wie Edward Norton den Folkhelden Pete Seeger gibt – als beflissenen Idealisten mit leichtem Hang zum Spießer. Großartig auch: Elle Fanning als Dylans kluge Freundin sowie Monica Barbaro, die sich als pragmatische Berufsmusikerin Joan Baez nicht die Butter vom Brot nehmen lässt.
Die Kulissen: eine Ausstattungsorgie
„Like A Complete Unknown“ ist zudem eine Ausstattungsorgie allererster Güte: Selten hat man ein schöneres Amerika gesehen! Durch die Straßen zischen tolle Vintage-Oldtimer, VW-Käfer und auf Hochglanz polierte Straßenkreuzer mit Heckflossen. Die prächtigen Folk-Clubs, durch die Kameramann Phedon Papamichael verführerisch abbildet, möchte man gar nicht mehr verlassen.
Das ist das Manko dieses Films, der die Drogeneskapaden seines Protagonisten ebenso ausklammert wie den kommunistischen, gesellschaftskritischen Background seiner Freundin Suze Rotolo.
Filmkritik: Absolut sehenswert – mit Einschränkungen
„Like A Complete Unknown“ kann nicht erklären, warum sich Bob Dylan – trotz der angeblich wunderbaren Sechzigerjahre – immer wieder als ätzender Kotzbrocken entpuppt, was diesen Künstler zum aufsässigen Störenfried und zum coolen Individualisten macht. Aber an Antworten auf diese Fragen, das sei hinzugefügt, haben sich bereits andere die Zähne ausgebissen.
Trotzdem ein höchst gelungener Musikfilm! Empfehlung: Unbedingt im Original mit Untertiteln ansehen, im Kino auf der großen Leinwand.