Als ein amerikanischer Radiosender im Jahr 2000 den Song „I Disappear“ von Metallica spielte, ahnte niemand, welchen Widerhall dieses kleine Airplay bis heute auslösen würde. Denn die Mitglieder von Metallica haben zugehört und sich gewundert, wie ein unveröffentlichter Song an die Radiostationen des Landes gelangen konnte. Die Antwort hieß Napster, die in den Nullerjahren beliebte Online-Tauschbörse für Musik. Doch weil damit unveröffentlichtes Material illegal veröffentlicht wurde, erhob Metallica im selben Jahr Klage gegen das rasant gewachsene Unternehmen.
Ein Minimum von 10 Millionen Dollar Schadenersatz und 100.000 Dollar pro illegal gedownloadetem Song forderte die Anklage. Am Ende wurden etwa 300.000 User aus Napster verbannt und das Unternehmen musste alle urheberrechtlich geschützten Songs von Metallica entfernen. Weitere Künstlerinnen und Künstler wie zum Beispiel Dr. Dre klagten daraufhin ebenfalls, bis Napster schlussendlich Konkurs anmelden musste.
Metallica als Stellvertreter der Musikindustrie
Die Fans von Metallica – aber auch Musikfans generell – kritisierten den Schritt der Rockband damals, denn sie waren überrascht, dass eine Band wie Metallica, die eher für Anti-Establishment steht, für die Musikindustrie einstand. „Ich erinnere mich noch gut, dass sich meine internationalen Chefs gefreut haben“, berichtet Tim Renner, der damalige Chef von Universal Deutschland. Auch wenn er damals nicht direkt etwas mit der Klage zu tun hatte, bezweifelt er, dass dies ursprünglich Metallicas Idee gewesen sei: „Den Klagen von Metallica haben sich dann ja auch fix die Labels angeschlossen. Insofern wirkte es auch sehr kuratiert.“
Ein Spotify vor Spotify?
Das damalige Major Label Bertelsmann hatte sich der Anklage nicht angeschlossen. Es stand bereits in Verhandlungen mit Napster, eine legale Online-Plattform aufzubauen. Hätte also ohne die Klage damals schon aus Napster das werden können, was heute Spotify ist? Laut Tim Renner sehr wahrscheinlich schon: „Ich glaube, es wäre der richtige Weg gewesen, den Bertelsmann versucht hat – sich mit Napster zusammenzusetzen und zu überlegen, ob man da nicht vielleicht ein Subscription-Modell hinbekommt, wie es später Spotify gemacht hat, und legalisiert das, was die User sich selbst aufgebaut haben.“
Doch so musste die Musikindustrie erst einmal durch ein „langes Tal der Tränen“, wie es Tim Renner nennt. „Da hat die Musikindustrie sich selbst einen riesigen Schaden zugefügt. Denn Napster hat ja bewiesen: Es funktioniert, es ist möglich, man kann den Wünschen des Musikkonsumenten nachkommen.“ Es sollten noch fast zehn Jahre vergehen, ehe mit Spotify 2009 eine Plattform auf den Markt kam, die an die Qualität der sogenannten Piratenplattformen heranreichte.
25 Jahre später wendet sich das Blatt
2023 äußerte sich Peter Paterno, der damalige Anwalt von Metallica, erneut zu der Causa Napster und betonte, wie wichtig und richtig die Klage gewesen sei. Die User seien laut Paterno „im Grunde Diebe“, die umsonst Musik genommen hätten. Ein Deal, wie ihn auch Tim Renner für richtig gehalten hätte, wäre laut Paterno damals der falsche Weg gewesen. Auch Metallica Schlagzeuger Lars Ulrich hatte 2016 betont, dass er und die Band stolz auf die Klage seien. Nur auf die Reaktionen der Masse hätten sie sich besser vorbereiten müssen.
So wie damals Metallica kritisiert wurde, ergeht es heute Spotify. In der Kritik ist das Bezahlmodell der Streamingplattform. Diese würde Künstlerinnen und Künstler benachteiligen und auch Diversität und Vielfalt in der Industrie zerstören. Napster gibt es immer noch und wurde erst vor Kurzem für 207 Millionen Dollar vom Startup Infinite Reality gekauft. Für Tim Renner ist das keine Überraschung: „Wenn ich einen Spotify-Konkurrent aufbauen wollen würde, würde es mir auch in den Fingern jucken, so eine Marke wie Napster zu erwerben.“