„Die russischen Behörden halten die gesamte Bevölkerung des Landes in erster Linie für Schwachköpfe und Idioten, die, nachdem sie etwas Verbotenes gelesen haben, sofort extremistische Straftaten begehen und gegen Recht und Ordnung verstoßen. Genau diese niederträchtige Einstellung ist Ausdruck der Verachtung der Menschen“, so der russische Polit-Blogger Anatoli Nesmijan [externer Link] über die innenpolitische Lage in Russland, die von zunehmender Zensur und Unterdrückung geprägt ist. Ab 1. September ist es sogar strafbar, im Netz nach „extremistischen“ Inhalten zu suchen.
„Mit Geld lässt sich einiges erreichen“
Für den in London lehrenden Politologen Wladmir Pastuchow ist Putin entschlossen [externer Link], die russische Gesellschaft „abzuschalten“ und nicht nur vom Ausland, sondern auch von sich selbst zu isolieren: „Eine völlig abgeschottete und streng kontrollierte Gesellschaft entspricht den Schönheitsidealen der Elite um Putin. Doch bisher fehlten die technischen und politischen Ressourcen, um ihr utopisches Projekt ‚Stadt ohne Sonne‘ in die Tat umzusetzen. Jetzt aber sind sie vorhanden. Zumindest denken sie das. Warum nicht versuchen, einen Plan für die Aushebung eines solchen Schachts zu schmieden? Mit Geld lässt sich einiges erreichen…“
Damit die Kreml-Propaganda „wie Heroin“ wirken könne, müssten alle konkurrierenden Informationsmöglichkeiten unterbunden und eine „virtuelle“ Realität geschaffen werden, in der Russland allen anderen Nationen überlegen sei: „Großartigkeit ist eine Droge, die, wenn sie systematisch verabreicht wird, den Durchschnittsmenschen sehr schnell in einen Medien-‚Junkie‘ verwandeln kann.“
„Neue Realität wie eine Neutronenbombe“
Ähnlich die Einschätzung des Politologen Wladislaw Inosemtsew in einer Analyse für die in Amsterdam erscheinende „Moscow Times“ [externer Link]. Russland sei auf dem Weg in die totale Überwachung, mit ungewissem Ausgang: „Moderne Technik macht diesen Weg deutlich weniger aufdringlich als in den faschistischen oder kommunistischen Gesellschaften, die jeder aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts kennt – niemand hört Ihr Telefon ab oder verfolgt Sie –, verleiht solchen Maßnahmen jedoch eine Effizienz, von der die Spione der Vergangenheit nicht einmal zu träumen gewagt hätten.“
Das sei ein Unterschied wie der zwischen einer Neutronenbombe und einer Atombombe: Es gebe geringe äußere Zerstörung, aber die Freiheit werde umso effektiver erstickt.
Allerdings seien Russen nicht so leicht unter Kontrolle zu bekommen wie die Chinesen, schränkt Inosemtsew ein: „Sie sind am wenigsten bereit, sich an Regeln zu halten (egal, um welche Regeln es sich handelt) oder die Anerkennung einer Gesellschaft zu suchen, der die meisten von uns mit unverhohlener Verachtung begegnen.“