Raynor und Moth Winn laufen los: 630 Meilen liegen vor den beiden – der South West Coast Path. Ein Ziel haben sie nicht, denn ihr Zuhause haben sie verloren. Beide hatten in die Firma eines Familienfreundes investiert. Die ging pleite. Das Paar war auf einmal hoch verschuldet. Um das Geld zu bezahlen, mussten sie ihr Haus aufgeben. „Nach einer unglaublichen wahren Geschichte“: So wird die Verfilmung von „Der Salzpfad“ aktuell beworben. Die Geschichte des Ehepaares hat Raynor Winn 2018 im gleichnamigen Buch erzählt. Weltweit hat sie zwei Millionen Exemplare verkauft.
„Wir haben unser Haus verloren, unsere Existenz und ein paar Tage später erfuhr mein Mann von seiner unheilbaren Krankheit. Und damit hatten wir unsere Zukunft verloren“, erzählt Raynor Winn. In dem Moment sei es als genau das Richtige erschienen, einen Rucksack zu packen und zu laufen. „Daraus wurde mehr als eine Wanderung, es hat unser Leben gerettet.“
The Observer-Journalistin: „Echte Geschichte ist viel dunkler“
Die Verfilmung also ein weiterer Triumph, wäre da nicht die Recherche der britischen Zeitung „The Observer“. Da heißt es nämlich, so wahr sei diese unglaubliche Geschichte gar nicht. Investigativ-Reporterin Chloe Hadjimatheou stellt in einer Recherche viel infrage: „Einige Teile der Geschichte sind nicht wahr. Die echte Geschichte ist viel dunkler.“ Die Winns sollen ihr Geld nicht wegen einer Fehlinvestition verloren haben. Stattdessen soll Raynor Winn 64.000 Pfund unterschlagen haben, als sie Buchhalterin in einem kleinen Unternehmen war.
Vorwurf: Betrügereien und vorgetäuschte Krankheit
Als die Polizei begann zu ermitteln, sei sie untergetaucht, heißt es in dem Bericht. Schließlich habe sie sich Geld bei einem Familienfreund geliehen. Als Sicherheit wurde ihr Haus hinterlegt. Als die Firma dieses Freundes pleite ging, mussten die Winns laut Observer ihre Schulden begleichen. Weil sie nicht zahlen konnten, hätten sie ihr Haus verloren. Erzählt haben das dem Observer die Betroffenen von damals. Raynor und Moth Winn hießen zu dem Zeitpunkt Sally und Tim Walker, sagen sie. Die Familienfreunde haben anonym von ihren Erlebnissen berichtet. Aber die Ehefrau des laut Observer betrogenen Arbeitgebers, Ross Hemmings, spricht offen mit der Reporterin. Sie sagt, sie gönne Raynor Winn den Erfolg. Aber wenn sie von Anfang an gesagt hätte, sie habe jemandem 64.000 Pfund abgeknöpft, sich Geld geliehen, um diese Schulden zu begleichen, dann habe diese Person aber auch ihr Geld wiederhaben wollen und deshalb habe Winn mein Haus verloren: „Das wäre doch viel besser gewesen.“
Allerdings geht der Observer noch weiter. Ob Moth Winn alias Tim Walker wirklich unheilbar krank ist, sei fraglich. Denn bei seiner Krankheit, der sogenannten cortobasialen Degeneration, entwickeln Betroffene sehr schnell Parkinson-ähnliche Symptome. Lebenserwartung 6 bis 8 Jahre. Moth hingegen soll schon seit gut 18 Jahren symptomfrei damit leben.
Penguin Verlag steht hinter Autorin Raynor Winn
„Ich habe mit neun Wissenschaftlern gesprochen und sie alle sind überrascht oder skeptisch, dass Moth wirklich jahrelang mit fast gar keinen Symptomen gelebt hat“, heißt es. Raynor Winn hat sich inzwischen in einem schriftlichen Statement geäußert. Die Berichterstattung von The Observer sei irreführend und unfair. Der Vorwurf, Moth habe seine Krankheit nur vorgetäuscht, sei abscheulich. Sein Krankheitsverlauf sei ungewöhnlich, ja, aber er sei trotzdem krank. Zu den Vorwürfen, Geld unterschlagen zu haben, sagt sie, ja, sie habe Fehler gemacht. Es sei eine schwere Zeit gewesen. Der Penguin Verlag, der Winns Geschichte herausgegeben hat, hat inzwischen erklärt, die Autorin habe versichert, dass ihre Erlebnisse so stattgefunden hätten.
Eine Faktenprüfung gebe es im britischen Literaturbetrieb kaum, schätzt eine Expertin. Die Diskussion rund um „Der Salzpfad“ dürfte aber noch weitergehen. Winn hat rechtliche Schritte gegen die Recherche angekündigt.