„Als erstes möchte ich bemerken, dass diktatorische Regime selten durch einen Krieg am Rande des Zusammenbruchs stehen“, argumentiert Politologe Wladislaw Inosemtsew. Deshalb sei Putins Regime auch weniger mit umstrittenen Regierungen wie in Argentinien, sondern mehr mit dem autoritären Irak vergleichbar. Allenfalls Streitereien innerhalb der Kreml-Elite könnten für eine Destabilisierung sorgen: „Das Regime der Kriegsjahre ist viel stabiler, als es in Friedenszeiten den Anschein hatte.“
„Sowieso weitgehend machtlos“
Außerdem mache der Krieg in gewisser Weise „süchtig“, so Inosemtsew: „Nach dem ersten Schock, spontanen Protesten, massenhafter Auswanderung und der Erwartung eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs stabilisierte sich die Situation in der Gesellschaft und es machte sich Routine breit. Die Menschen gewöhnten sich an die neue Realität, entdeckten ihre Vorteile, redeten sich ein, dass es viel schlimmer hätte kommen können oder erkannten, dass sie sowieso weitgehend machtlos sind.“
Der Kreml habe in den letzten drei Jahren paradoxer Weise vor allem die Interessen der USA bedient, heißt es in einer weiteren sehr aufschlussreichen Analyse. Russland sei durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine im Kaukasus, in Zentralasien und in Syrien in die Defensive geraten und habe unwillentlich die Position der Türkei und der NATO gestärkt.
„Wir wollen Platz an der Sonne“
„Das Überleben der Wirtschaft während dieser drei Jahre ist eines der wichtigsten und unerwarteten Ergebnisse“, bemerkt Politologe Ilja Graschtschenkow. Was die „Sicherheitsreserven“ betreffe, gebe es allerdings viele Fragezeichen. Propagandist Dmitri Konanischin rühmte derweil wie viele Gesinnungsgenossen die vermeintliche Stärkung des Gemeinschaftsgefühls: „Der Krieg hat uns auf die Probe gestellt und uns gezwungen, uns daran zu erinnern, was Nächstenliebe wirklich bedeutet.“
Derzeit kämpfe jedes Land um einen „Platz an der Sonne“ in der neuen Weltordnung, meinte Starblogger Juri Podoljaka (3,1 Millionen Fans) und zitierte damit eine Reichstagsrede des späteren deutschen Reichskanzlers Bernhard von Bülow (1849 – 1929) vom 6. Dezember 1897: „Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“ Das allerdings war in der Ära von Imperialismus und Kolonialismus.