Russland gehe schlicht das Geld aus, um ein weiteres Jahr intensiv weiterkämpfen zu können, so diese Argumentation. Einer der wichtigsten russischen Beobachter, Juri Podoljak (3,12 Millionen Follower), nennt die Lage an einigen Frontabschnitten „kompliziert“: „Gleichzeitig sind die Kämpfe, um ehrlich zu sein, hart. Dem Feind gelang es, örtlich eine Kräfteüberlegenheit aufzubauen. Bisher ist es sehr schwierig, seine Schläge abzuwehren. Sollte der Feind den Druck weiter erhöhen, wird das die Verlegung zusätzlicher Kräfte erforderlich machen.“
„Strategisch völlige Sackgasse“
Auch Propagandisten wie der Polit-Blogger Juri Barantschik stellten fest, dass sich der russische Vormarsch an den Fronten in den letzten Monaten immer mehr verlangsamte: „Der unmittelbare Grund dafür liegt darin, dass der Feind sehr großzügig Reserven einsetzt.“ Was an Gerüchten russischer Telegram-Kanäle dran ist, wonach Moskaus Militärführung derzeit in „Krisensitzungen“ über „Flächenbombardements“ zur völligen Ausschaltung der ukrainischen Infrastruktur nachdenkt, ist wegen der anonymen Quellen fraglich.
Blogger Anatoli Nesmijan ist so oder so skeptisch hinsichtlich Selenskyjs Zukunft: „Offenbar hat Selenskyj von den Europäern und den Briten ausreichende Garantien erhalten und wird daher seine Konfliktlinie mit den USA fortsetzen. Strategisch gesehen ist das natürlich eine völlige Sackgasse, doch die Ukraine ist kein handelndes Subjekt, sie kann sich nur aussuchen, welchem Herrn sie dient. Und ‚wählen‘ ist ein starkes Wort; auch die Wahl wird für sie getroffen.“
„Völker, über die wir nichts wissen“
Der kremlkritische russische Politologe Andrei Nikulin fühlt sich angesichts von Trumps Verhalten gegenüber der Ukraine an das Münchner Abkommen von 1938 erinnert, bei dem Hitler die Briten und Franzosen über den Tisch zog, um große Teile der damaligen Tschechoslowakei zu annektieren.
Nikulin zitiert sarkastisch eine Radioansprache des damals amtierenden britischen Premierministers Neville Chamberlain vom 27. September 1938: „Wie entsetzlich, aberwitzig und unglaublich wäre es, wenn wir hierzulande Schützengräben ausheben und Gasmasken anlegen für eine Streiterei zwischen zwei Völkern, über die wir nichts wissen, in einem weit entfernten Land.“