Seit gestern ist er wieder online, der Wahl-O-Mat, der seit 2002 zu jeder Wahl dazugehört wie Bratwurststände und Selfies mit Spitzenkandidaten. Mit über 21 Millionen Nutzungen bei der letzten Bundestagswahl ist er zur wichtigsten digitalen Orientierungshilfe geworden. Doch er ist längst nicht mehr allein: Die digitale Wahlhilfe-Landschaft gleicht mittlerweile einem gut sortierten Werkzeugkasten.
Etliche „O-Maten“ auf dem Markt
Da gibt es den Real-O-Mat, der das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Parteien im Bundestag unter die Lupe nimmt, den WahlSwiper, der im Stil einer Dating-App durch politische Fragen führt, oder den Wahl-Kompass, der Nutzer auf einer politischen Landkarte verortet. Selbst Spezialinteressen werden bedient – vom Steuer-O-Mat für Finanzfragen bis zum Agrar-O-Mat für landwirtschaftliche Themen.
KI statt Kreuzchen: Die neue Generation der Wahlhelfer
Doch der klassische Wahl-O-Mat selbst hat seine Schwächen: Kritiker bemängeln seit Jahren die übermäßige Vereinfachung komplexer Themen. Das Tool sucht gezielt nach den größten Unterschieden zwischen den Parteien – wichtige Themen, bei denen die Parteien ähnliche Positionen vertreten, fallen dabei unter den Tisch. Auch der Psychologiestudent Sebastian Maier war mit dem Platzhirsch unter den digitalen Wahlhelfern unzufrieden.
„Beim Wahl-O-Mat werden einem Thesen vorgegeben, und man muss dann immer selber entscheiden: stimme ich zu, stimme ich nicht zu oder bin ich neutral“, erklärt der Entwickler von Wahl.Chat, einer Alternative aus den Laboren der TU München und der University of Cambridge. „Ich dachte dann oft: Boah, da habe ich jetzt erstmal keine starke Meinung dazu, da müsste ich mich jetzt erstmal zu den Hintergründen informieren.“
Politische Bildung soll interaktiver werden
Die Lösung? Statt starrer Thesen können Nutzer dem KI-Tool ihre eigenen Fragen stellen. Die künstliche Intelligenz durchforstet dann die Wahlprogramme der Parteien und liefert quellenbasierte Antworten. Besonders spannend: Die KI zeigt auch, ob die Aussagen der Parteien mit ihrer Realpolitik übereinstimmen. Wer etwa nach der Position der SPD zu Taurus-Marschflugkörpern fragt, erfährt nicht nur die offizielle Haltung, sondern auch das tatsächliche Abstimmungsverhalten im Bundestag.
„Es gibt so viele Informationen da draußen, die zwar theoretisch für alle frei zugänglich sind“, sagt Maier. „Tatsächlich liest sie sich aber keiner durch. Wir wollen politische Bildung persönlicher und interaktiver machen.“ Langfristig sollen nicht nur Wahlprogramme, sondern auch Parlamentsdebatten und Abstimmungen leichter zugänglich werden.
Orientierungshilfe im Programm-Dschungel
Mit „Wahlweise“ ist mittlerweile ein weiterer KI-gestützter Wahlhelfer am Start. Anders als Wahl.Chat verzichtet das Tool bewusst auf Einordnungen der Parteipositionen und konzentriert sich stattdessen auf die reine Essenz der Wahlprogramme. Die KI arbeitet dabei mit speziellen Anweisungen, die wertende Adjektive und Sprache vermeiden – ein cleverer Schachzug, denn so werden die oft werblich formulierten Wahlprogramme gewissermaßen „neutralisiert“. Wie bei einem Navigationssystem führt die KI durch den Dschungel der Parteiprogramme, ohne dabei den Anspruch zu erheben, die ultimative Wahrheit zu verkünden.
Wie weit die KI-gestützte Wahlhilfe gehen kann, zeigt ein interessantes Experiment des KI-Beraters Max Mundhenke: Er ließ ChatGPT und die Bildgenerations-KI Dall-E visualisieren, wie Deutschland aussähe, wenn die Parteiprogramme zu 100 Prozent umgesetzt würden. Die Ergebnisse: mal utopisch, mal dystopisch – und definitiv diskussionswürdig.
Der lächelnde Wähler
Apropos Visionen: Im Deutschen Museum München läuft derzeit eine Installation namens „Smile to Vote“, bei der eine KI anhand der Gesichtszüge der Besucher ihre Parteipräferenz erraten will. Eine augenzwinkernde Erinnerung daran, dass am Ende doch der Mensch – und nicht der Algorithmus – in der Wahlkabine stehen sollte.