Seit Jahresbeginn haben die gesetzlichen Krankenkassen rund 70 Millionen elektronische Patientenakten (ePA) angelegt – für ihre insgesamt rund 74 Millionen Versicherten. Doch bislang nutzen offenbar nur sehr wenige Versicherte ihre ePA. Offenbar gibt es Informationsdefizite bei den Patienten und auch Ärzte und Apotheker klagen über Schwierigkeiten.
„Überschaubare Zahl“ der AOK-Versicherten nutzt ePA
Patienten können in der ePA ihre Gesundheitsdaten einsehen und sensible Inhalte sperren. Die Techniker Krankenkasse (TK) hat beispielsweise rund elf Millionen Akten angelegt, von denen derzeit rund 750.000 aktiv seien. Bei der Barmer Ersatzkasse sind es rund 250.000 von etwa 7,8 Millionen ePA.
Noch bemerkenswerter ist das Verhältnis bei den elf Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). Für die Verwendung der ePA-App muss man sich einmal grundsätzlich identifizieren und mit einer persönlichen Gesundheits-ID freischalten lassen. Das haben bei rund 25,8 Millionen angelegten elektronischen Patientenakten bisher etwa 200.000 Versicherte getan.
Die Chefin des AOK-Bundesverbands Carola Reimann sagte der dpa, es sei eine „überschaubare Zahl der Versicherten“ und setzt zugleich darauf, dass sich das ab Oktober „hoffentlich ändern“ werde. „Denn dann sind Ärztinnen und Ärzte gesetzlich verpflichtet, die ePA zu nutzen und mit relevanten Dokumenten zu befüllen.“
Informationsdefizit und technische Schwierigkeiten
Doch genau dieser Termin macht einige Beteiligte sehr unruhig. Denn offenbar gibt es nicht nur Informationsdefizite bei den gesetzlich versicherten Patienten – wer wann wie ihre Gesundheitsdaten eingeben und vor allem einsehen kann und wie man das gegebenenfalls einschränken kann. Auch Ärzte und Apotheker klagen über technische Hindernisse und Schwierigkeiten bei der ePA.
Zuständig für die organisatorische und technische Einführung der ePA und des seit Januar geltenden E-Rezepts ist die Nationale Agentur für Digitale Medizin, die gematik, an der der Bund mit 51 Prozent beteiligt ist. Die restlichen 49 Prozent teilen sich führende Medizinverbände und die Krankenkassen. Die gematik betreut auch den Aufbau der für den Datenaustausch im Gesundheitswesen nötigen Telematrikinfrastruktur (TI).
Viele Ärzte haben noch kein ePA-Softwaremodul
Doch da scheint es, gut zwei Monate vor der gesetzlichen Verpflichtung, noch große Baustellen zu geben. So berichtet die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), dass in vielen Arztpraxen die dort eingesetzte Software noch gar nicht über das notwendige ePA-Modul verfüge. Eine Umfrage des Bundesverbands Gesundheits-IT zusammen mit der KBV habe ergeben, dass rund ein Viertel der Softwarehersteller entweder noch gar keine Rückmeldung zur Integration der ePA gegeben hätten oder das entsprechende Modul werde erst im dritten Quartal installiert.
Für KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sybille Steiner ist das „hochkritisch“, denn die Praxen müssten schon vor dem gesetzlich vorgeschriebenen Start im Oktober die Möglichkeit bekommen die ePA in den Praxisalltag einzubauen und Schwierigkeiten an die Softwarehersteller und die gematik zu melden.
Apotheker klagen über Störung der Telematikinfrastruktur
Ärzte wie Apotheker klagen zudem über Störungen der Telematikinfrastruktur (TI). Laut Steiner schafft das Probleme bei der Akzeptanz der ePA in der Ärzteschaft. Und Claudia Korf, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, beschwert sich in einem Brief an die gematik, dass die Störungen „betriebsverhindernd“ seien, weil E-Rezepte dann nicht beliefert werden könnten. Im Vergleich zum Vorjahr sei eine deutliche Verschlechterung der Anwendungsstabilität zu erkennen.
Apotheker warnt: Risiko für Patienten
Thomas Haddenhorst, Vorsitzender der Bezirksgruppe Warendorf im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL), unterstreicht auf dem Fachportal „Apotheke adhoc“ die Auswirkungen auf den möglichen Umsatz von betroffenen Apotheken. Und er betont: „Das kann zu einem Risiko für unsere Patienten werden.“ Wer akut krank sei, können nicht mehrere Apotheken abklappern, bis er endlich eine gefunden habe, die von der jeweiligen Störung gerade nicht betroffen sei, betont Haddenhorst.
Nationale Agentur für Digitale Medizin wiegelt ab
Trotz all dieser Beschwerden wiegelt die gematik ab. Die Störungen in der Telematikinfrastruktur hätten nicht das gesamte System betroffen, sondern „jeweils spezifische Komponenten oder Dienste“, wird eine gematik-Sprecherin zitiert. Die Störungen seien vollständig behoben worden, die Systeme liefen seitdem stabil. Sie räumt aber ein, dass die Störungsbeseitigung in komplexen Fällen – trotz intensiver Anstrengungen aller Beteiligten – mehr Zeit in Anspruch nehmen könne.