Wichtig ist bei dieser Diskussion die Unterscheidung zwischen Meinung und überprüfbarer Tatsachenbehauptung: Ab wann sich arbeiten „lohnt“, wie hoch das Bürgergeld sein sollte und ob die Abstände zwischen Bürgergeld-Empfängern und unteren Lohngruppen zu niedrig sind – das alles sind Bewertungen, die nicht in faktisch richtig oder falsch zu unterscheiden sind und die bei jeder Person unterschiedlich ausfallen können.
Hier liefert der #Faktenfuchs deswegen nur Kontext zum Vergleich zwischen Bürgergeld und Arbeitseinkommen, damit sich die Leserinnen und Leser ihr eigenes Bild machen können.
Bürgergeld-Haushalt: Mehr Geld, falls Arbeiter-Haushalt auf Leistungen verzichtet
Korrekt ist: Es gibt bestimmte Konstellationen, bei denen ein Bürgergeld-Haushalt mehr Leistungen erhält, als ein vergleichbarer Haushalt an Arbeitseinkommen erzielt. Zum Beispiel, wenn in einem Bürgergeld-Haushalt zwei Eltern mit zwei Kindern wohnen und im Arbeiter-Haushalt eine der vier Personen in Vollzeit zum gesetzlichen Mindestlohn arbeitet. Die Höhe der Bürgergeld-Leistungen wird pro „Bedarfsgemeinschaft“ ausgerechnet, darunter versteht man sowohl allein Lebende als auch Haushalte mit mehreren Personen.
Allerdings hat der Mindestlohn-Haushalt nur weniger monatliches Einkommen zur Verfügung, wenn er auf die ihm ebenfalls zustehenden Leistungen wie Wohngeld und Kinderzuschlag verzichtet. Denn auch Menschen mit Arbeitseinkommen haben ein Anrecht auf sogenannte Transferleistungen.
Als Transferleistung bezeichnet man eine Leistung des Staates an die Bürger, für die keine konkrete Gegenleistung anfällt, etwa Beitragszahlungen. Zu diesen Leistungen gehören zum Beispiel Wohngeld, Kindergeld oder Kinderzuschlag bei Haushalten mit geringem Einkommen. Das zeigen Berechnungen verschiedener Wirtschaftsinstitute, die in diesem #Faktenfuchs vorgestellt werden.
Arbeiter-Haushalte: Mehr Geld aufgrund anderer Hilfen
Andreas Peichl, Leiter des ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, schreibt dem #Faktenfuchs: „Es gibt keine Konstellation, wo jemand, der arbeitet (und alle Transfers in Anspruch nimmt, die ihm zustehen), weniger hat, als jemand, der nicht arbeitet.“
„Wer arbeitet, hat immer mehr Geld zur Verfügung als jemand, der arbeitslos ist und Bürgergeld bezieht“, sagt Martin Künkler im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Er ist beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Leiter des Referats für existenzsichernde Leistungen. Der DGB vertritt und unterstützt die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer.
Bürgergeld umfasst Regelbedarf und Unterkunft
Das deutsche Grundgesetz schreibt vor: Alle Menschen haben ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Es steht den Menschen zu, die arbeitssuchend sind oder wegen verschiedener Gründe nicht arbeiten können (Ausbildung, Pflege, Kindererziehung etc.) oder so wenig verdienen, dass sie davon nicht leben können. In der Regel bekommen Arbeitssuchende zuerst ein Jahr lang Arbeitslosengeld, bevor sie dann ins Bürgergeld wechseln.
Wie viel Bürgergeld ein Haushalt erhält, hängt von einigen Faktoren ab. Der Anzahl der Personen, das Alter möglicher Kinder und die Mieten des Wohnorts. Die Miete und Heizkosten für Bürgergeld-Empfänger zahlt das Jobcenter.
Mieten und Wohnungsgrößen für Bürgergeld-Empfänger haben regional unterschiedliche Obergrenzen, die von den Jobcentern festgelegt werden: In München beispielsweise hatte eine allein lebende Person 2024 Anspruch auf höchstens 50 Quadratmeter, und er erhält höchstens 849 Euro Bruttokaltmiete. Eine alleinstehende Person erhält deutschlandweit 563 Euro Bürgergeld zum Leben.
Single-Haushalt: Mindestlohn bringt mehrere hundert Euro mehr
In der Diskussion werden manchmal unterschiedliche Haushalte verglichen. „Man müsste Haushalte vergleichen, die gleich groß sind, gleich zusammengesetzt“, sagt Martin Künkler vom DGB. „Der Vier-Personen-Haushalt ist natürlich besser gestellt im Bürgergeld als ein Single, das macht ja auch Sinn, weil vier Personen davon leben müssen.“
Der einfachste Vergleich ist der zwischen zwei alleinstehenden Personen: Die eine bezieht Bürgergeld, die andere arbeitet Vollzeit für Mindestlohn. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) berechnete für diesen Fall, dass der Vollzeit-Arbeitnehmer (38-Stunden-Woche) 1.515 Euro verfügbares Einkommen hat, der Bürgergeld-Empfänger 990 Euro.
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung berechnete Werte, die sich nur um wenige Euro unterscheiden. Forscher vom ifo-Institut errechneten, dass der Arbeitnehmer 348 Euro mehr nach Abzug aller Abgaben, Miete und Heizkosten hat.
Alle diese Rechnungen verwendeten den Mindestlohnsatz von 12,41 Euro pro Stunde, der bis Ende 2024 galt. Seit Anfang des Jahres ist er auf 12,82 Euro angestiegen, während das Bürgergeld gleich blieb.
Die Unterschiede in den Berechnungen liegen unter anderem an den angesetzten Mietpreisen. In der Beispielrechnung des DGB ist die Warmmiete für einen Bürgergeld-Empfänger mit 427 Euro veranschlagt, beim ifo-Modell zahlen beide Haushalte 650 Euro. In Gebieten mit höheren Mieten, wie zum Beispiel München, hat eine Vollzeit-Arbeitnehmerin mit Mindestlohn trotzdem mehr Geld zur Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger. Denn hier hat sie Anspruch auf mehr Transferleistungen, wie Wohngeld oder eine Sozialwohnung.
Eine Falschbehauptung ist also eine Aussage wie die von AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel, die zu diesem Thema sagte: Ein Facharbeiter oder Handwerker würde netto weniger verdienen als ein Bürgergeldempfänger erhielte.