Kinder sitzen in Schulen, „wo ein normaler Arbeitnehmer längst die Gewerkschaft rufen würde“
BR24: Wir haben in Deutschland aber eine Schuldenbremse, das heißt, wir können ja nicht einfach so neue Schulden machen.
Hüther: Das Staatsschulden-Recht kann man nicht umgehen, das sollte man auch nicht, aber man kann es aber durchaus ändern. Das wäre die eine Möglichkeit: indem man eine Investitionsklausel in die Schuldenbremse einbaut. Und ich würde auch alles, was da drinsteht, mit einer Planungs- und Verfahrensbeschleunigung kombinieren, sodass das Geld auch wirklich auf die Straße kommt.
BR24: Damit könnte man auch das Bildungssystem verbessern. Denn marode Schulen sind nicht nur ein Einzelfall aus Augsburg. Überall in Deutschland müssen Eltern die Schulen ihrer Kinder eigenhändig renovieren, damit diese ein einigermaßen angenehmes Lernumfeld haben.
Hüther: Wir muten unseren Kindern, aber auch unseren Lehrerinnen und Lehrern zu, dass sie in Gebäuden agieren, wo ein normaler Arbeitnehmer längst die Gewerkschaft rufen würde und auf den Arbeitsschutz pochen würde. Also auch hier hat sich etwas aufgetürmt.
Ökonom Hüther: „Wir haben über 20 Jahre zu wenig gemacht“
BR24: Sie sagen aufgetürmt. Den Sanierungsstau kann man nicht mehr wegdiskutieren. Wie konnte es denn so weit kommen?
Hüther: Man stellt einfach fest: Wir haben über 20 Jahre deutlich weniger gemacht als die anderen. Und es gab ja auch Warnungen schon vor zehn Jahren und längerer Zeit, dass wir zu wenig tun und dass das ein Problem werden kann. Es ist ignoriert worden, und jetzt haben sie Umkipp-Effekte. Das ist so, als wenn sie zu Hause eine feuchte Wand ignorieren und noch mal drüber pinseln. Das fängt irgendwann wieder an zu müffeln. Und da müssen Sie die ganze Wand aufreißen und eine fundamentale Sanierung ihres Kellers möglicherweise machen, weil sie dann nicht an die Ursachen gehen.
Das erleben wir jetzt. Wir erleben es in allen Infrastruktursystemen – der Qualitätsverfall hält an: Das ist für das Schienennetz so, das ist für die Bundesautobahnen so, das ist für die Bundesfernstraßen so und wir kommen bei der Digitalisierung auch nicht so schnell voran, wie wir eigentlich müssten. Und dazu kommt: Wir haben ja so eine Art Jahrgangs-Problem oder Vintage-Problem, wie die Ökonomen das nennen. Ein Großteil der Infrastruktur ist in einem sehr kurzen Zeitraum, in den 60er und 70er-Jahren gebaut worden.
BR24: Auch für bezahlbare Wohnungen fehlt Geld. Die Hans-Böckler-Stiftung geht in einer Studie davon aus [externer Link], dass in deutschen Großstädten 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen.
Hüther: Wir haben insgesamt nicht zu wenig Wohnungen. Wir haben diese nur nicht immer da, wo die Menschen gerne wohnen möchten, nämlich in den Städten. Dort ist die Frage, wie entwickle ich neue Stadtteile? Wie binde ich die verkehrstechnisch an? Das heißt, das ist alles so leicht gesagt: Da muss gebaut werden. Es ist ja nicht die Frage, ob ich hier noch mal drei Häuser hinstelle, sondern es geht ja dann wirklich um Konzeptionen.
Aber es ist vor allen Dingen aktuell auch eine Frage der Baukosten. Wir bauen in Deutschland sehr teuer. Sie können einen Quadratmeter Wohnungsbau nicht unter 3.500/4.000 Euro im Grunde erstellen. Da steckt alles Mögliche drin an Auflagen. Und wir haben dann das andere Problem, der Zinserhöhungen. Insofern findet faktisch im Augenblick in Sachen Wohnungsbau nichts statt.
BR24: Danke für das Gespräch.