Erst kommen Mahnungen, dann droht eine Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher – wer Rechnungen nicht bezahlt, kann schnell in Probleme geraten. Kein Einzelfall in Deutschland: Rund fünfeinhalb Millionen Menschen sind überschuldet, das sind mehr als acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Jedes Jahr veröffentlicht Creditreform einen Schuldneratlas. Das Inkasso-Unternehmen warnt nun: Die Fälle von Überschuldung steigen in Bayern wieder leicht an.
Häufigste Gründe für Überschuldung: Jobverlust, Krankheit, Trennung
Auch Marc Wichlajew von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Stadt München merkt die steigenden Zahlen. Mehr als 21.000 Betroffene kommen jedes Jahr in die Beratungsstellen der Stadt. Die Hälfte der Schuldner haben Migrationshintergrund. Jedoch: Überschuldung könne jeden treffen, sagt der Leiter der Schuldnerberatung. Meist schlitterte man über veränderte Bedingungen in die Probleme: „Man verliert den Job, man wird krank oder man trennt sich vom Partner – das sind die häufigsten Schulden-Auslöser. Plötzlich hat derjenige auch keine Kraft mehr – viele haben zum ersten Mal in ihrem Leben mit Gerichten, Gerichtsvollziehern oder Inkassounternehmen zu tun.“
Teilerlass der Schulden oder Privatinsolvenz
In den Beratungsgesprächen suche man mit dem Betroffenen nach Wegen, wie die Schulden abgetragen werden könnten. Sie kontaktierten dafür auch Gläubiger, sagt der Berater, um einen Teilerlass der Schulden zu besprechen. Manchmal sei auch eine Privatinsolvenz eine Option. Das Verfahren ist an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Grundsätzlich ist der Schuldner verpflichtet, in den drei folgenden Jahren ein höchstmögliches Maß an Rückzahlungen durchzuführen. Danach werden die Restschulden unter gewissen Umständen gestrichen.
Vom Bürgergeldempfänger bis zum Zahnarzt
Manche Schuldner seien jedoch auch in existenziellen Problemen, etwa durch eine Spiel- oder Kaufsucht. Vom Bürgergeldempfänger bis zum Zahnarzt – finanziell verheben könne sich jeder in der Gesellschaft, sagt der Insolvenzberater. Durchschnittlich hätten die Betroffenen 30.000 Euro Schulden. „Viele kommen erst zu uns, wenn es fast schon zu spät ist. Manche Menschen kommen mit Kisten ungeöffneter Briefe – sie wollen die Situation nicht wahr haben“, sagt Wichlajew. Das Thema sei ein großes Tabu, auch im Bekannten- oder Familienkreis. Die Staatsregierung beteiligt sich an den Kosten der Schuldnerberatungen. Im aktuellen Haushalt sind dafür laut Sozialministerium 11,7 Millionen Euro eingeplant. Aus Sicht des Ministeriums steht Bayern beim Thema Überschuldung gut da: „Unter den bundesweit 50 Landkreisen und kreisfreien Städten mit der niedrigsten Überschuldungsquote sind 44 aus Bayern“, heißt es auf BR-Anfrage.
Überschuldung als Spät-Indikator für schlechte wirtschaftliche Entwicklung
Nur knapp sechs Prozent der Erwachsenen im Freistaat sind laut Schuldneratlas 2024 deutlich in den Miesen. Am stärksten betroffen ist die Altersgruppe zwischen 30 und 39 Jahren. Aber die Zahl im Freistaat steige wieder leicht, sagt Christoph Schieder von Creditreform. Der Leiter der Münchner Niederlassung warnt vor den Folgen: „Überschuldung ist ein Spät-Indikator für eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung. Das heißt: Schlechte Zeiten manifestieren sich in der Überschuldung erst mit einer Verzögerung von zwölf oder mehr Monaten. Man muss also davon ausgehen, dass sich die Zahlen weiter verschlechtern.“
Creditreform ist eine Auskunftei, die für ihre Kunden – in der Regel Unternehmen –Schulden eintreibt. Anhand der Daten ihrer Kunden erstellt Creditreform den jährlichen Schuldneratlas. Dabei unterscheidet die Auskunftei zwischen einer geringen Verschuldung in Form von Zahlungsstörungen und einer hohen Verschuldung, bei der Unternehmen gerichtlich gegen Privatmenschen vorgehen und es zu Privatinsolvenzen kommt. Doch auch Unternehmen könnten immer häufiger ihre Schulden gegenüber ihren Gläubigern nicht bezahlen, sagt Schieder. Besonders betroffen seien die Baubranche und die Gastronomie. Mit Blick auf das europäische Ausland sei Überschuldung in Deutschland jedoch ein kleineres Problem. Grund hierfür sei unter anderem die restriktive Vergabe von Krediten durch Banken und Finanzdienstleister.