In der menschengemachten Klimakrise haben Forschende schon vor einiger Zeit sogenannte Kipppunkte im Klimasystem der Erde ausgemacht. Wenn ein Element des Erdklimas kippt, wechselt es abrupt und unumkehrbar seinen Zustand. Eins dieser Elemente scheint nun verloren. Tropische Korallenriffe gelten als die Regenwälder der Meere. Sie schützen unsere Küsten und sind essenziell für die Ernährung von Millionen Menschen weltweit. Laut der zweiten Ausgabe des Global Tipping Points Reports, einer Studie zu Klima-Kipppunkten, stehen sie vor dem Ende.
1,5-Grad-Ziel gerissen – Korallenriffe vor dem Aus
„Ein Klima-Kipppunkt, den wir vermutlich jetzt schon überschritten haben, das sind die tropischen Korallenriffe“, sagt Nico Wunderling. Er ist Erdsystemforscher an der Goethe-Universität in Frankfurt und einer der Autoren der Studie, an der mehr als 100 Wissenschaftler aus über 20 Ländern beteiligt waren. Der Niedergang der Korallenriffe ist ein wichtiger Marker der Forschung über Klima-Kipppunkte.
„Das ist besonders deswegen relevant, weil wir jetzt fast schon eineinhalb Grad an Erwärmung erreicht haben und dort einige Klima-Kipppunkte bereits drohen, überschritten zu werden“, sagt Wunderlich. Im Jahr 2024 lag die globale Erwärmung erstmals über 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau. Wissenschaftlich aussagekräftig ist das aber nur, wenn die Temperatur im langjährigen Mittel überschritten wird. Das dürfte ungefähr im Jahr 2035 der Fall sein.
Forscher: „Klima-Kipppunkte bedrohen Gesellschaften massiv“
Unterdessen steigt das Risiko, dass andere Klima-Elemente kippen. Das Abschmelzen der grönländischen und der westantarktischen Eisschilde genauso wie fundamentale Änderungen bei Meeresströmungen und weitere kippende Elemente könnten sich selbst verstärken. Rund zwei Dutzend Teilsysteme des globalen Klimasystems haben laut Forschenden solche Kipppunkte. „Die verheerenden Folgen des Überschreitens von Klima-Kipppunkten bedrohen unsere Gesellschaften massiv“, sagt Wunderling.
Allerdings gibt es in der Forschung auch große Unsicherheiten über die entscheidende Temperatur für das Kippen. Für den grönländischen Eisschild liegt diese laut Studienlage zwischen 0,8 und 3,4 Grad Erwärmung. Die Folgen des Kippens zeigen sich teils nur sehr langsam. Sollte der Kipppunkt des grönländischen Eisschildes zu weit überschritten werden, selbst dann würde ein Abschmelzen mehrere Jahrhunderte oder gar Jahrtausende dauern. Es bedeute aber eben auch, dass dieser Prozess dann irreversibel ablaufe, so Wunderling.
„Positive Kipppunkte“: Wenn sich Nachhaltigkeit selbst verstärkt
Die Autoren der Studie betonen, dass die Klimakrise auch Chancen biete und Kipppunkte in Gesellschaften möglich mache. Deren Überschreiten könne klimafreundlicheres Verhalten verstärken. So seien erneuerbare Energien global betrachtet bereits oft günstiger als fossile Brennstoffe, auch verdrängten Elektrofahrzeuge mehr und mehr Verbrennerautos.
Auch die Einführung und Förderung klimafreundlicherer Technologien durch die Politik könnten positive Kipppunkte beschleunigen, etwa beim Heizen oder im Transportwesen. Soziale Dynamiken könnten zudem dazu führen, dass die Mehrheit der Menschen ihren Fleischkonsum einschränkt oder ihr Mobilitätsverhalten verändert. Die Forschenden sagen, auch diese Entwicklung können unumkehrbar sein und sich selbst verstärken.
Appell vor Weltklimakonferenz in Belém
Und genau diese Entwicklungen seien wichtig, sagt Wunderling. Denn das Pariser Klima kommen aus dem Jahr 2015 sei noch nicht verloren. Die Idee dahinter: Die Menschheit überschreitet das 1,5 Grad-Limit nur temporär. Dafür müssten die Emissionen weltweit aber stark sinken. Dafür sei es wichtig, jetzt schnell ins Handeln zu kommen. Je kürzer die temporäre Überschreitung, desto besser. „Stellen Sie sich vor, man nimmt ein Eiswürfel aus dem Gefrierfach, legt den auf den Tisch. Wenn man den schnell genug wieder ins Gefrierfach legt, dann schmilzt er auch nicht ab, sondern ist noch da. Wenn er aber erst mal abgeschmolzen ist, da dann viel Spaß, den zurück in Eiswürfelform zu bringen“, warnt Wunderling.
Die Weltklimakonferenz in Brasilien sei ein wichtiger Zeitpunkt, ins Handeln zu kommen. Sie wird in Belém veranstaltet, einer Stadt im Amazonas-Regenwald, der selbst ein Kippelement im Klimasystem ist.