Viele Eltern tendieren dazu, die schulischen Fähigkeiten ihrer Kinder zu überschätzen. Wie stark, hängt offenbar auch von Bildungsgrad und Herkunft der Eltern ab. „In Deutschland überschätzt fast die Hälfte der Eltern die Fähigkeiten ihrer Kinder“, sagt Elena Ziege, Ko-Autorin einer Studie, die das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung vor Kurzem veröffentlicht hat.
Oft Fehleinschätzung der Eltern
Die Ergebnisse zeigen: Gerade Eltern mit einem geringeren Bildungsgrad, aber auch zugewanderte Eltern überschätzen ihre Kinder häufiger.
Außerdem hat die Studie untersucht, wie Zeugnisse den Blick von Eltern auf die Leistung ihrer Kinder beeinflussen. Das Ergebnis: Zeugnisse, die durch Noten oder Notenskalen Rückmeldung über die Leistungen der Kinder geben, würden die Fehleinschätzung von Eltern korrigieren. Die Studie stützt sich dabei auf Erhebungen des Nationalen Bildungspanels NEPS aus dem Jahr 2013:
Darin wurden Eltern aus verschiedenen Bundesländern vor und nach der Zeugnisausgabe dazu befragt, wie sie die Leistungen ihrer Kinder einschätzen. Es zeigte sich, dass in Bundesländern, in denen die Kinder mit Noten bewertet wurden, die Eltern ihre Einschätzungen anpassten und die Fähigkeiten weniger überschätzten, insbesondere in Deutsch, sagt Elena Ziege. „Wir zeigen auch, dass die Eltern dann häufiger in die Kinder investieren und zum Beispiel häufiger mit den Kindern lesen.“
Noten sind häufig nur scheinbar objektiv
Allerdings berücksichtigt die Studie nicht, welche Wirkung die Vergabe von Ziffernnoten auf die Psyche von Erstklässlern hat, räumt Elena Ziege ein. Denn: Noten können Kinder demotivieren, Kinder können sich bei schlechten Noten schnell als Verlierer abgestempelt fühlen. Die Studie blende diese Aspekte aus, dabei seien sie wissenschaftlich gut belegt, kritisiert Bildungsforscher Andreas Hartinger von der Universität Augsburg.
Außerdem würden Noten selten den genauen Wissensstand von Kindern widerspiegeln und seien häufig nur scheinbar objektiv: „Es gibt genügend Studien, die zeigen, dass sogar Matheproben zwischen zwei und sechs korrigiert worden sind, die gleiche Matheprobe, wohlgemerkt“, sagt Hartinger. „Es gibt genügend Studien, die zeigen, dass der gleiche Aufsatz unterschiedlich korrigiert wird, wenn er vom Julius kommt oder vom Ali.“ Zeugnisse seien selten gerecht, gerade wenn es ums Mittelfeld geht. Denn sie sind stark vom sozialen Vergleich innerhalb der Klasse abhängig und von der diagnostischen Fähigkeit der jeweiligen Lehrkraft. „Zeugnisse haben deshalb relativ wenig Potenzial“, sagt Andreas Hartinger. Die Ziffernoten würden nur scheinbar Klarheit geben.
Schulerfolg hängt in Deutschland stark vom Elternhaus ab
Die Studie zieht den Schluss: Besser informierte Eltern engagieren sich auch stärker in der Förderung ihrer Kinder. Doch viele Eltern können ihre Kinder gar nicht besser fördern, selbst wenn sie es wollten. Dieser Ansicht ist nicht nur Andreas Hartinger, sondern auch Astrid Rank, Bildungsforscherin an der Uni Regensburg. Eltern würden dadurch nur noch stärker für den schulischen Erfolg ihrer Kinder verantwortlich gemacht, als sie es ohnehin schon sind.
„Es gibt wenige andere Länder, in denen der Bildungserfolg so vom Elternhaus abhängt wie in Deutschland“, erklärt Rank. Die Eltern seien in der Pflicht, von dieser Geisteshaltung sei das deutsche Bildungssystem geprägt. Die Schlussfolgerung der Studie würde den Druck auf die Eltern, mehr für ihre Kinder zu tun, nur noch erhöhen. Dabei seien die Schule und der Staat in der Pflicht, allen Kindern die Chance auf eine gute Bildung zu bieten. „Die Eltern, um die es hier auch geht, können das eben nicht leisten, weil sie zum Beispiel nicht so gut Deutsch sprechen, in einer prekären Wohnsituation sind oder gesundheitliche Probleme haben“, sagt Rank.
Zeugnisse mit einem Gespräch verbinden – das hilft
In einem Punkt sind sich die beiden Bildungsforscher allerdings mit der Studienautorin Elena Ziege einig: Die schriftlichen Beurteilungen in Grundschulzeugnissen sind tatsächlich häufig schwer zu verstehen. Hier sollten Lehrkräfte stärker auf eine einfache Sprache achten und mit Eltern und Kindern im regelmäßigen Gespräch bleiben. In Bayern sei man mit dem Lernentwicklungsgespräch auf einem guten Weg, sagt Astrid Rank. In Anwesenheit der Eltern spricht die Lehrkraft mit dem Kind – darüber, wo es mit seinem Wissen steht und wo die Schul-Reise als Nächstes hingeht.