Die Europäische Kommission hat erstmals eine Alzheimer-Therapie zugelassen, die auf die zugrundeliegenden Krankheitsprozesse abzielt: Lecanemab richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn. Der Antikörper sei für eine Behandlung im frühen Stadium gedacht und das erste Medikament dieser Art, das in der EU zugelassen werde, teilte die Kommission am 15. April mit.
Zulassung bereits im November empfohlen
Bereits im November 2024 hatte die europäische Arzneimittelbehörde EMA die Zulassung des Antikörpers Lecanemab empfohlen. Die Zulassung unterliegt laut EU-Kommission strengen Auflagen. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Arzneimittels bei einer bestimmten Gruppe von Patienten und unter bestimmten Voraussetzungen die Risiken überwiege. Um Heilung oder Verbesserung geht es bei diesem Wirkstoff allerdings nicht – ein solches Mittel ist auch weiterhin nicht in Sicht.
Wirkstoff Lecanemab soll Alzheimer verlangsamen
Das Medikament mit dem Wirkstoff Lecanemab soll Alzheimer etwas verlangsamen. Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht die ursächlichen Prozesse im Gehirn. Hauptmaßstab für die Wirksamkeit der Therapie war die Veränderung der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten. Sie wurde anhand einer Demenzbewertungsskala gemessen, die von 0 bis 18 reicht. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf: 1,22 statt 1,75.
Wann und wie kann Lecanemab eingesetzt werden?
Experten zufolge wird es noch Monate dauern, bis das Mittel Lecanemab eingesetzt werden kann – unter anderem, weil der Hersteller verpflichtet wurde, ausführliche Handreichungen und Schulungen für Ärzte auszuarbeiten und ein Beobachtungsregister anzulegen. Das Medikament wird alle zwei Wochen intravenös als Infusion gegeben. Ob eine Behandlung infrage kommt, muss individuell gemeinsam mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin entschieden werden. Um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder Hirnblutungen frühzeitig zu erkennen, sind regelmäßige MRT-Untersuchungen vorgesehen.
Wer kann mit Lecanemab behandelt werden?
Das Medikament wirkt nur bei „Menschen mit einer Alzheimerkrankheit in einem sehr frühen symptomatischen Stadium. Also Menschen, die ein wenig vergesslich sind, vielleicht auch Orientierungsstörungen haben, aber noch weitgehend ihren Alltag selbst bewältigen können“, erklärte Timo Grimmer, Leiter des Zentrums für kognitive Störungen am Klinikum rechts der Isar in München. Und auch bei Menschen mit leichtgradiger Demenz sei der Wirkstoff eine Hoffnung. Ist die Krankheit schon fortgeschritten, kann Lecanemab nichts mehr ausrichten: Wenn die Amyloid-Plaques schon irreversible Schäden im Gehirn angerichtet haben, nützt ihre Entfernung nichts mehr.
Lecanemab ist nicht für alle Alzheimer-Patienten geeignet
Darüber hinaus hat die EMA eingeschränkt: Das Mittel soll nur für Alzheimer-Patienten verwendet werden, die nur eine oder keine Kopie von Apoε4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Bei Menschen mit zwei Apoε4-Kopien zeigte sich ein hohes Risiko für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen wie etwa Schwellungen und Blutungen im Gehirn. Menschen mit nur einer oder keiner Apoε4-Kopie machten in Deutschland etwa 80 Prozent der Alzheimer-Patienten aus, erklärte Gabor Petzold, Direktor der Klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Hinzu kommen weitere Einschränkungen. Experten zufolge kommt nur ein kleiner Bruchteil der Alzheimer-Erkrankten für die neue Therapie infrage.
Wie wirkt Lecanemab im Vergleich zu bisherig verfügbaren Alzheimer-Medikamenten?
Lecanemab reduziert Ablagerungen des Proteins Amyloid-beta, das mit der Zerstörung von Nervenzellen in Verbindung gebracht wird. Die Clarity-AD-Studie [externer Link] zeigte, dass Lecanemab den kognitiven Abbau um etwa 30 Prozent verlangsamte, was einem Krankheitsaufschub von knapp sechs Monaten entspricht.
„Klar ist, dass Lecanemab kein Wundermittel ist“, betont Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Berlin. Es heile Alzheimer nicht, biete aber ein lebenswertes halbes Jahr mehr im frühen Krankheitsstadium. Einige Experten verweisen auf die nur unmerkliche Verlangsamung der Demenz und gravierende Nebenwirkungen, bis hin zum Tod. Bei Frauen sei der beobachtete klinische Effekt noch einmal deutlich geringer als bei Männern, ihr Risiko für Nebenwirkungen hingegen höher.
Zahlt Lecanemab die Krankenkasse?
Sobald der Hersteller den deutschen Markt betritt und das Medikament gemäß der Zulassungskriterien verordnet wird, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten. In den USA belaufen sich die Medikamentenkosten laut Johannes Levin vom DZNE umgerechnet auf rund 23.000 Euro jährlich – pro Patient.