Ganz Deutschland schaut gebannt darauf, wie die SPD sich entscheidet. Geht sie erneut als Juniorpartner eine Koalition mit CDU/CSU ein? So war die Situation im Frühjahr 2018 und so ist sie auch heute, im Frühjahr 2025. Und doch ist vieles anders.
2018 lief es noch ähnlich wie bei einer staatlichen Briefwahl, mit Papier-Stimmzettel, eidesstattlicher Erklärung, mehreren Umschlägen, Auszählung vor Ort. 2025 hat die SPD sich dagegen für ein digitales Abstimmungsverfahren entschieden: Die Mitglieder erhalten einen Zugangscode per Post. Auf der Abstimmungsseite geben sie diesen und ihre Mitgliedsnummer ein und stimmen ab. Über ein Verifikationsverfahren können Sie im Anschluss kontrollieren, ob ihre Stimme richtig gewertet wurde. Am Mittwoch werden die Ergebnisse präsentiert.
Was machen Offline-Genossen?
Ein potenzieller Kritikpunkt des neuen Verfahrens ist wohl auch den Sozialdemokraten klar. Schon im Erklärvideo zum Votum weisen sie unter anderem daraufhin, dass Genossen sich an Familie, Freunde oder Parteikollegen wenden können, wenn sie ein Problem haben oder wenn Gerät oder Internetzugang fehlt.
Dass durchaus nicht jeder die rein digitale Abstimmung problemlos hinbekommen hat, bestätigt auch Carsten Träger, SPD-Abgeordneter aus Fürth und Chef des SPD-Bezirks Mittelfranken, auf BR-Anfrage: „Da die SPD-Mitgliedschaft die ganze Breite der Bevölkerung widerspiegelt, hat die rein digitale Abstimmung durchaus auch Herausforderungen mit sich gebracht.“
Ortsvereine, Kreisverbände und Unterbezirke hätten sich in Mittelfranken gemeinsam bemüht, Abstimmungen zu ermöglichen. Etwa, indem man Wahlräume mit Tablets oder Computern angeboten oder auch Hausbesuche vorgenommen habe.
Und die Technik?
Neben der Frage der Teilhabe stellt sich gerade bei digitalen Verfahren natürlich stets die Frage der Sicherheit. Dominik Herrmann, Leiter des Lehrstuhls für Privatsphäre und Sicherheit in Informationssystemen an der Uni Bamberg, sieht beim SPD-Verfahren mehrere Schwachstellen, wie er gegenüber BR24 deutlich macht.
Das zentrale Problem dürfte im digitalen Verfahren selbst stecken, besser gesagt in seiner Undurchsichtigkeit. Die SPD-Mitglieder können laut Herrmann nämlich gar nicht nachvollziehen, ob Stimmabgabe und Auszählung korrekt ablaufen, da die kryptografischen und organisatorischen Abläufe zu kompliziert seien. „Es ist daher eine gehörige Portion Vertrauen in den Anbieter des Systems und dessen Technik erforderlich“, so der Forscher.
Wie viel versteht die SPD?
Und auf Vertrauen in den Anbieter verlassen sich offenbar auch die Organisatoren der Wahl. Darauf deutet laut Professor Herrmann zumindest eine Unsauberkeit auf der SPD-Website zur Abstimmung hin. Sie deute darauf hin, dass auf Parteiseite nur ein oberflächliches Verständnis der technischen Abläufe vorherrsche. Das wiederum lasse ihn zweifeln, ob das Personal, das die SPD-Seite betreut, Manipulationen ausschließen, technisch durchdringen oder prüfen könnte.
Konkret bezieht Herrmann sich auf die Aussage der SPD-Website (externer Link), dass das Verfahren durch zwei Faktoren gesichert sei. Gemeint ist damit laut FAQ zur Abstimmung, dass man Zugangscode UND Mitgliedsnummer eingeben muss. Da die Mitgliedsnummer aber nicht geheim ist, könne man sie wohl kaum als „Authentifizierungsfaktor“ zählen, erklärt der Experte. Ein zweiter Faktor wäre etwa ein Fingerabdruck, der zusätzlich präsentiert werden muss.
Grundproblem Vertrauen
Darüber hinaus sei der Anbieter, den die SPD nutzt, aber ein bekanntes und erfahrenes Unternehmen. Auch andere Organisationen, wie etwa die Gesellschaft für Informatik, setzten auf seine Dienste. Zur Steigerung des Vertrauens solle bei der SPD zudem die Verifikation beitragen, über die jeder Einzelne nachprüfen kann, ob seine Stimme wirklich so gezählt wurde, wie er sie abgegeben hat. Zugleich ist wiederum Vertrauen nötig, dass die Verifikation wirklich das anzeigt, was sie verspricht.
Die Vertrauensfrage ist im Übrigen kein SPD-internes Problem, sondern vielmehr ein Grundproblem digitaler Abstimmungen. So hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2009 in einem Urteil zum Einsatz von Wahlcomputern klargemacht, dass eine staatliche Wahl öffentlich ablaufen muss. Der Bürger muss auch ohne besondere Sachkenntnis prüfen können, wie Wahl und Auszählung ablaufen.
Erst, wenn man elektronische Wahlgeräte das gewährleisten können, dürften sie laut den Verfassungsrichtern zum Einsatz kommen. Deutschland wählt etwa seinen Bundestag auch mehr als 15 Jahre später noch mit Zettel und Stift.