Die musikalische Vita von Miley Cyrus ist voller Brüche. Denn es gibt wohl kein Album, auf dem sie nicht zumindest versucht, sich als Künstlerin neu zu erfinden. Aber keiner diese Versuche war bislang so tiefgreifend wie jener, den sie auf ihrem neuesten Album „Something Beautiful“ wagt.
Doch bevor man genauer auf dieses blicken kann, muss man versuchen zu verstehen, woher Cyrus‘ ja schon beinahe rastloses Streben nach Veränderung kommt. Und dazu muss man sich zunächst einmal ansehen, woher die US-Sängerin kommt: Berühmt wurde sie 2006 mit der Disney-Serie „Hannah Montana“, in der sie eine Schülerin spielt, die ein Doppelleben als Sängerin führt. Und danach, ungefähr ab dem Jahr 2013 war sie für viele lange Zeit nur die Frau, die sich fast nackt auf einer riesigen Abrissbirne räkelte.
Erster Grammy für den Song „Flowers“
Als ernstzunehmende Künstlerin hat die Musikwelt Miley Cyrus lange nicht wahrgenommen. Obwohl sie über die Jahre Millionen Alben verkauft und eine junge Generation mit ihrer Musik geprägt hat – die Auszeichnungen haben immer andere bekommen. Ein Umstand, der sie verletzt habe, wie sie erst kürzlich im New York Times Podcast „The Interview“ erzählte (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). Insofern sei es eine späte Genugtuung gewesen, als sie dann 2024 ihren ersten Grammy für den Song „Flowers“ bekam – da war sie schon fast 20 Jahre im Popgeschäft unterwegs. Und wenn man so will, hat sie sich mit „Flowers“ und dem dazugehörigen Album „Endless Summer Vacation“ freigeschwommen – und den Grundstein gelegt für ihr neues Album „Something Beautiful“.
Dieses Album, das vergangenen Freitag auf den Markt kam, ist die ultimative Zäsur im musikalischen Schaffen von Miley Cyrus. Zwar bewegte sie sich auch davor immer wieder zwischen den Genre-Grenzen, war mal Popsternchen, mal Country Girl, mal Rockröhre. Aber so konsequent experimentell wie auf „Something Beautiful“ hat man sie noch nie gehört – im Übrigen auch keine ihrer erfolgreichen Kolleginnen wie Taylor Swift, Dua Lipa oder Sabrina Carpenter.
Das beginnt schon beim Eröffnungstrack. In „Prelude“ verschränken sich zwei gegeneinander laufende Arpeggios in einem Soundknäuel, das sich zum Ende hin in einem epischen Streicherfinale aufbäumt. Und als wäre nichts gewesen, beginnt der nächste Song „Something Beautiful“ ganz lässig mit angejazztem Bass über verhalltem Rhodes-Piano, bevor er in der Mitte plötzlich in einen verzerrten Gewittersturm ausbricht, sich aber genauso schnell wieder beruhigt.
Die Sache mit dem Polypen
Darüber liegt die rauchige Stimme von Miley Cyrus, die sich durch ihren kratzig, warmen Klang so einzigartig abhebt von den sauber geschliffenen Gesangslinien vieler künstlerischer Weggefährtinnen. In ihrer Gesangsrange erweist sie eine enorme Flexibilität. Das ist eigentlich nichts Neues, überrascht aber insofern, als zuletzt doch überall von einem Stimmbandpolypen zu lesen war, der ihr Liveauftritte zumindest erschwert, weil sich das Singen damit so anfühle, „als würde man mit Gewichten an den Fußgelenken einen Marathon laufen“, wie Miley Cyrus bei Zane Lowe bei Apple Music erzählt (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt).
Von einem Polypen ist auf „Something Beautiful“ in jedem Fall nichts zu hören. Vielmehr ein großer Genremix. Da ist der schwelgende Popsong „End of the World“, das funkige „Easy Lover“, der EDM-Stampfer „Walk of Fame“. Wer einen musikalischen roten Faden auf dem Album sucht, wird diesen nicht finden. Und das ist vielleicht sogar gewollt. Denn die ewig suchende Miley Cyrus hat ihren Frieden gemacht. Wie sie bei Zane Lowe erzählte, habe sie all ihre Songs lieben gelernt, all die unterschiedlichen Genres und Klänge, an denen sie sich all die Jahre versucht hat. Und das hört man „Something Beautiful“ an.
Herausgekommen ist ein spannendes Album, das immer dann eine Abzweigung nimmt, wenn man meint, man hätte verstanden, wo Miley Cyrus gerade hinwill.