Innerhalb weniger Wochen brachte Sebastian Haffner diesen Roman 1932 zu Papier. 24 Jahre jung war er damals und wollte: Schriftsteller werden. Hätten die Nazis nicht kurz nach Abschluss seines Manuskripts die Macht ergriffen, hätte er diese Geschichte auch veröffentlicht, ist sich Florian Kessler sicher. Er ist Lektor beim Münchner Carl Hanser Verlag, der „Abschied“ nun posthum herausgebracht hat.
„Sebastian Haffner hatte zwar der Familie völlig freie Hand gelassen, was mit dem Nachlass einmal geschehen sollte, – er hatte sogar gesagt, dass dieser Roman ‚Abschied‘ durchaus etwas wäre, auf das er stolz sei -, aber gleichzeitig gab’s in der Familie natürlich die berechtigte Sorge, wie ein wirklich ungestümer Jugendroman sich auswirken würde.“
Dass sich die Familie schlussendlich für die Veröffentlichung entschied, ist für uns Heutige ein Glück, auch weil wir darüber mehr über seinen Verfasser lernen. Denn diese atemlos erzählte Geschichte, die im Frühjahr 1931 spielt, ist unverhohlen autobiografisch: Der Ich-Erzähler ist ein junger Berliner Rechtsreferendar namens Raimund Pretzel – der Geburtsname des Juristen Sebastian Haffner, den er im Exil dann ablegte.
Ein Denkmal für die große Jugendliebe
„Abschied“ ist vor allem aber ein Denkmal für seine große Jugendliebe „Teddy“ alias Gertrude Joseph, eine Jüdin, die schon 1930 nach Paris ging. „Sie war vielleicht die erste Emigrantin“, hat Haffner in seinen Erinnerungen „Geschichte eines Deutschen“ geschrieben über diese von ihm angebetete Frau, die eine „Göttin“ für ihn war.
Um die wahrlich nicht leichte Beziehung zwischen Teddy und Raimund geht es in „Abschied“. Es wird viel geredet in diesem Roman, der unter äußerst kunstsinnigen jungen Menschen in der französischen Hauptstadt spielt. Sie diskutieren in verqualmten Mansarden über Aldous Huxley und Rainer Maria Rilke, über die Schauspielkunst von Emil Jannings, oder sie streifen durchs Quartier Latin, besuchen den Louvre, sind Teil der Bohème.
„Man möchte tatsächlich sofort selbst dabei sein und mitquatschen, Zigaretten rauchen, Kunst betrachten“, sagt der Lektor Florian Kessler. „Und das Hochinteressante ist natürlich, dass Politik in diesem Roman nur von ganz seitlichen Signalen her spürbar ist, obwohl der Roman im Jahr 1931 spielt.“
Eine unheimliche Vorahnung
Dennoch legt „Abschied“, auch wenn der Roman in Paris spielt, Zeugnis ab von der Endphase der Weimarer Republik. Es wirkt nachgerade unheimlich, wenn hier die Figuren von einem „Zukunftskrieg“ reden oder Raimund Pretzel alias Sebastian Haffner im Angesicht eines vollgestopften Reisekoffers den Satz schreibt: „In meinem Koffer ging es zu wie in einem Konzentrationslager oder in einem Flüchtlingszug.“
Solche Sätze würden einen beim Lesen „ins Gesicht schlagen“, sagt Florian Kessler. Sebastian Haffner sei berühmt dafür, „dass er ein unglaublich aufmerksamer, klarer, hellsichtiger Beobachter der politischen Verhältnisse war, und das ist immer auf eine seltsame Weise anwesend und nicht anwesend gleichzeitig“.
In jedem Fall eine gute Entscheidung von Sebastian Haffners Familie, dieses literarische Dokument „Abschied“ nun der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.