„Care-Arbeit“ klingt, als würde man sie mit dem Besen verrichten: Kehr-Arbeit. Aber diese Sorge-Arbeit, also dass Menschen sich neben ihrem Beruf über längere Zeit um andere kümmern – um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige – wird in der Gesellschaft oft wenig gesehen. Und ganz besonders in der Kunstbranche.
Künstlerbranche: Frauen stehen schlechter da
Die Künstlerin Anna Schölß engagiert sich im „Bündnis Kunst und Kind“ für mehr Gerechtigkeit. Anlass war ein Erlebnis nach ihrem Diplom an der Akademie der Künste. Dort hatte sie nämlich zunächst das Gefühl, gleiche Chancen zu haben. „Bis dann nach dem Diplom ein Galerist auf mich zukam, mich in seine Galerie aufnehmen wollte und dann die entscheidende Frage stellte: Wie es denn mit meiner Familienplanung aussehe?“ Er nehme „grundsätzlich eigentlich eher keine Frauen“ auf, die Kinder bekommen wollen oder Kinder haben – weil er damit schlechte Erfahrungen gemacht habe, erzählt die Künstlerin.
Dabei hatte Anna Schölß damals noch nicht mal Kinder. Dass im Kulturbereich Frauen generell schlechter dastehen, zeigt schon der Gender Pay Gap – der beschreibt, wie viel weniger Frauen im Schnitt verdienen. Gesamtgesellschaftlich sind das derzeit 16 Prozent – in der Kultur sind es 25. Je nach Sparte verdienen Frauen sogar nur die Hälfte.
Ideal des einsamen Künstlers
Woran das liegt, erforscht Sascia Bailer: „Einerseits herrscht im Kultursektor noch so ein sehr starkes Ideal vom männlichen Künstlermythos. Dass wir, wenn wir an einen Künstler oder an Kunstschaffende denken, immer zuerst an diesen männlichen Künstler denken, der in seinem Atelier ist und den Pinsel schwingt bis spät in die Nacht, vielleicht auch ein Glas Rotwein in der Hand.“ Das sei ein stark männlich geprägtes, patriarchales Bild.
Gleichzeitig werde bei Männern nicht hinterfragt, wenn sie Kinder bekommen – weil man offensichtlich nicht davon ausgehe, dass sie Zeit aufbringen müssen, um sich um diese zu kümmern. Hier werde eindeutig mit zweierlei Maß gemessen, so die Forscherin.
Solidarität von Männern gefordert
Der Theaterwissenschaftler Christian Steinau will das ändern. Er setzt sich dafür ein, dass Care-Arbeit nicht nur als Frauenthema gesehen wird. Steinau wollte eine Tagung zum Thema Gleichberechtigung als kulturelle Aufgabe organisieren – im Verband Kulturpolitische Gesellschaft Bayern: „Und die Vorstandskollegen, alles männliche, sehr etablierte Kulturpolitiker in Bayern, haben gesagt: ‚Nee, das ist doch ein Frauenthema. Da finden wir kein Publikum. Dann sitzen wir am Ende bei einer Konferenz nur mit Frauen.‘ Und das ist ein Mindset, das ist nicht mehr akzeptabel.“ Steinau findet, es brauche die Solidarität von männlichen Kollegen, da entschieden zu widersprechen. „Und diese Solidarität ist etwas, was viel zu sehr fehlt.“
Vernissage am Vormittag?
Es gibt viele Ansatzpunkte, um die Kulturbranche familienfreundlicher zu gestalten: Steinau fordert, den Produktionsdruck an Theatern zu verringern, damit für alle Beteiligten die Arbeitszeiten entlüftet werden und wieder Zeit bleibt für Sorge-Arbeit. Dazu hat er einen Policy-Baukasten für Theater entwickelt, der in Workshops verwendet werden kann, um Strukturen zu verändern.
Die Wissenschaftlerin und Kuratorin Sascia Bailer hat noch einfachere Ideen: „Zum Beispiel eine Vernissage von 20 Uhr auf 11 Uhr an einem Wochenende zu legen, das kostet nichts.“
Mehr Geld für care-sensible Förderung
Anna Schölß vom „Bündnis Kunst und Kind“ fordert mehr Geld für care-sensible Förderung. Zum Beispiel bei Residency-Programmen – also wenn Kunstschaffende für beispielsweise ein halbes Jahr zum Arbeiten eingeladen werden. Sie habe schon erlebt, dass Künstlerinnen mit Kindern wieder ausgeladen worden seien.
Um das zu erreichen, setzt Schölß auf Vernetzung, auch um gegen den Irrtum anzugehen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei Privatsache: „Ich glaube, diese Solidarität, Zeitkontingente zum Beispiel zu teilen oder über ähnliche Probleme zu sprechen, ist sehr wichtig. Wir sind einfach sehr, sehr viele, die damit zu tun haben. Und wir wollen sichtbar sein.“