Worum geht es bei Kunst? Um Farben, Formen? Oder um Ideen? Verkauft werden immer noch meistens Farben in Form von Gemälden, von Galeristen gerne als Flachware bezeichnet, aber spannender sind die Ideen. Und von denen erzählt Robert Shore, der schon mehrere Biografien von zeitgenössischen Künstlern vorgelegt hat.
Im Comic „Blow Up – die explosive Geschichte der modernen Kunst“ wagt er einiges. Auf ganzen zehn Seiten widmet er sich etwa Marcel Duchamp, an dessen Werk sich schon ganze Generationen von Kunsthistorikerinnen die Zähne ausgebissen haben – vor allem an den von ihm erfundenen „Ready-mades“.
Warhol und was sich verkaufen lässt
„Ready-mades“ sind nicht anderes als vorgefundene Objekte, etwa ein handelsüblicher Flaschentrockner oder ein Urinal, die Duchamp kurzerhand zum Kunstwerk erklärte. Nicht das Objekt ist die Kunst, sondern der Akt der Umbenennung. Und das Ausstellen des Objekts als Kunst in einer Galerie oder einem Museum. Diesen Gedanken griff Andy Warhol auf, als er eine ganz normale Suppendose aus dem Supermarkt abmalte.
Im Comic wird noch mal die Geschichte erzählt, dass Warhols Mutter ihm immer Tomatensuppe aus der Dose gemacht hat. Das ist nicht falsch, lenkt aber die Aufmerksamkeit in eine falsche Richtung. Warhol hat alles gemalt, was bekannt war: Mao, Marilyn, Elvis oder eben eine Suppendose. Zumindest zum chinesischen Staatslenker dürfte er keine freudianisch erklärbare Beziehung gehabt haben. Tatsache ist: Andy Warhol hatte keinen großen Ehrgeiz, seine Kunst zu erklären. Er hat mit ihr gespielt und schlicht gesehen, was erfolgreich war, was sich verkaufen ließ. Dann lieferte er mehr davon.
Beuys, der Filz und die metaphorische Bedeutung
Auch bei Joseph Beuys folgt Shore eher ausgetretenen Pfaden, etwa der Erzählung, der Künstler sei im Zweiten Weltkrieg über der Krim im Flieger abgeschossen worden und verletzt von Schamanen in Filz und Fett gehüllt worden. Deshalb seine lebenslange Begeisterung für die Materialien. Nur ist seit Jahren bekannt: Das hat sich Beuys einfach ausgedacht. Im Comic wird das abgetan, dass „nicht Fakten, sondern die metaphorische Bedeutung“ zähle.
Ein visueller Wasserfall aus Mustern und Punkten
Aber solche Einwände schmälern nicht die Verdienste dieses Comics – er erzählt eine wirklich überraschende Geschichte der modernen Kunst. Leider sind die Zeichnungen von Eva Rossetti manchmal arg konventionell. Das ändert sich im Kapitel über Yayoi Kusama. Deren Rauminstallationen, etwa ihre Spiegelräume, sind überwältigend. Wir bewegen uns in einem visuellen Wasserfall aus Mustern und Punkten. Schön wie ein Mohnblumenfeld, aber auch etwas beängstigend, weil wir in ihnen die Verortung für den Raum verlieren. Für ihre Ängste, für ihre psychischen Erkrankungen findet Rossetti starke Bilder. Großes Lob gebührt dafür, dass Kusama in diesem Comic deutlich mehr Platz bekommt als die weitaus bekannteren Warhol und Duchamp.
Der Comic „Blow Up“ ist so etwas wie ein Suppenwürfel. Sehr komprimiert, mit sehr starken Geschmäckern. Ob er wirklich alles erklärt, was er andeutet – vielleicht nicht immer. Manche Nährstoffe fehlen, aber nach der Lektüre geht man mit einem frischen Appetit ins Museum. Und das erreicht zu haben, ist ein großes Verdienst.