Musik hat eine seltsam emotionale Kraft. Ein Song kann glücklich und traurig zugleich machen, kann in vergangene Zeiten zurückführen und ein Hörerlebnis zaubern, das niemand sonst auf dieser Welt empfindet – weil es von persönlichen Erinnerungen und Gefühlen geprägt ist. Kein Wunder also, dass manche Menschen alles dafür geben würden, ihre lang aufgelöste Lieblingsband noch einmal live zu hören. So wie Charles, die Hauptfigur der bittersüßen Tragikomödie „The Ballad of Wallis Island“.
Charles ist ein liebenswerter und ohne Punkt und Komma redender Eigenbrötler, der auf einer einsamen walisischen Insel lebt. Und er ist der größte Fan von Herb McGwyer, einem Folkmusiker, dessen erfolgreichste Zeiten lange zurückliegen. Weil Charles Geld wie Heu hat, hat er sein Musikidol für ein Privatkonzert am Strand engagiert. Das allerdings fällt wesentlich kleiner aus, als dem konstant schlecht gelaunten Singer-Songwriter lieb ist – denn Charles ist der einzige Gast.
Zwei mittelalte Männer und das Meer
Während in Charles‘ Kopf in Dauerschleife eine exklusiv für ihn geklampfte Akustikgitarre zu spielen scheint, schrillen bei Herb die Alarmglocken. Er wähnt sich in einem schlechten Film, fühlt sich wie in Stephen Kings „Misery“, sieht sich bereits mit gebrochenen Beinen an ein Bett in Charles‘ leicht heruntergekommenem Cottage gefesselt. Doch der tatsächliche Horror ist emotionaler Natur. Denn Charles hat auch Herbs ehemalige Partnerin für den Insel-Gig engagiert.
Trockener britischer Humor mit etwas Cringe und kluger Basis. Tim Key und Tom Basden, die beiden Hauptdarsteller in „The Ballad of Wallis Island“, beherrschen dieses Konzept meisterhaft. Seit Jahren arbeiten die Comedians zusammen, haben ihr Situationskomik-Pingpong unter anderem in einer Comedy-Show für „BBC Radio 4“ perfektioniert.
Jetzt haben sie – basierend auf einem 17 Jahre alten Kurzfilm (externer Link) – das Drehbuch für ihren ersten gemeinsamen Spielfilm geschrieben. Der erzählt zum einen von der unerwarteten Freundschaft zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Menschen und zum anderen von tiefen Wunden und der heilenden Kraft von Musik.
Wenn aus einem durchschnittlichen ein perfekter Song wird
Dass die Tragikomödie einen unerwartet tiefgründigen Zauber entwickelt, liegt nicht nur an Carey Mulligan. Sie spielt Herbs Ex-Partnerin und sagt mit ihrem traurig-abgeklärten Blick mehr als jede Dialogzeile. Der wahre Star dieses die leisen Töne bevorzugenden Independent-Kleinods aber ist Charles-Darsteller Tim Key. Er ist das Herz der Geschichte – allerdings eines, das in tausend Stücke zerbrochen ist.
Mit fortschreitender Handlung wird klar, woher seine Musikleidenschaft rührt und dass sein unablässiger Redefluss eine schmerzhafte Stille bekämpft. Entsprechend gleicht die Szene, in der ihm erstmals die Worte fehlen, jenem Punkt, an dem aus einem durchschnittlichen Song ein perfekter Song wird. Zu dem man immer und immer wieder gern zurückkehrt.