Professor Bernhard Grill ist dieser Tage nicht so leicht zu erreichen. Der Leiter des Erlanger Instituts für Integrierte Schaltungen jagt von einem Pressetermin zum nächsten. 30 Jahre MP3 – viele Medien wollen mit einem der Mitbegründer von damals sprechen. Bernhard Grill war einer dieser Männer. Jahrelang hatten die Erlanger Entwickler daran gearbeitet, Musikdateien um ein Vielfaches ohne Qualitätsverlust zu verkleinern.
1995 war es dann so weit. Das neue Audio-Kompressionsverfahren war marktreif, erhielt den Namen MP3. Das Computerzeitalter befand sich noch im Anfangsstadium, so Grill. Der Titel für die neue Erfindung richtete sich nach den Dateianwendungen. Drei Buchstaben bzw. drei Zeichen standen somit zur Verfügung. In einer internen Abstimmung hatte man sich demokratisch für „MP3“ entschieden.
MP3-Format: Audiodateien werden viel kleiner
Das neue Audioformat revolutioniert die Musikwelt. Letztlich mit angewandter Mathematik und viel Verständnis für das menschliche Gehör, bilanziert Bernhard Grill. Redundante Teile der Musik werden beim MP3-Verfahren einfach entfernt, ohne dass es das menschliche Ohr wahrnimmt.
Zudem werden genau die Töne und Geräusche herausgerechnet, die wir ohnehin nicht zwingend hören. Nur das, was für das menschliche Gehör wichtig ist, bleibt erhalten. Eine Musikdatei kann so auf etwa ein Zehntel ihrer ursprünglichen Größe schrumpfen, ohne das eigentliche Signal wesentlich zu verändern. „Wir hatten das Problem gelöst, Musik über das gerade aufkommende Internet zu verschicken“, sagt Bernhard Grill.
Musik im Internet: Nutzung auf der ganzen Welt ändert sich
MP3 verändert das Musiknutzungsverhalten auf der ganzen Welt. Schallplatten, Kassetten, CDs geraten ins Hintertreffen. Im Internet entstehen neue, zunächst illegale Tauschbörsen. Das Umwandeln von ganzen CDs in MP3-Dateien wird zum Volkssport. Auf extra für das Format entwickelte Abspielgeräte passen zunächst nur wenige Titel. Die Speicherkapazitäten aber wachsen schnell, so dass bald hunderte Lieder auf einem MP3-Player Platz finden.
Dass sie damit die Welt der Musikverbreitung verändern würden, sei ihnen vielleicht nicht sofort klar gewesen, den Anspruch aber hätten sie schon gehabt, betont Bernhard Grill leicht verschmitzt. Die Fokussierung auf das Internet damals sei definitiv die richtige Entscheidung gewesen.
Wirtschaftlicher Erfolg
Mit der neuen Erfindung generiert das Fraunhofer-Institut nach eigenen Angaben Einnahmen im dreistelligen Millionenbereich. Die Anzahl der Mitarbeitenden steigt stetig. Heute sind am Erlanger Standort rund 1.200 Menschen beschäftigt. Der Aufschwung des Instituts wurde unter anderem durch die Lizenzen für das MP3-Patent finanziert. Nachdem dies 2017 ausgelaufen ist, spülen jetzt noch immer Nachfolge-Codecs Geld in die Kasse. Das richtig große Geschäft allerdings machten vor allem die Gerätehersteller wie Apple, Sony oder SanDisk. Mit dem Verkauf der MP3-Player erzielten sie Milliarden-Umsätze.
Nachfolgetechnologien
MP3-Technik und daraus generierte Nachfolge-Codecs stecken heute so gut wie in jedem Handy, Streaming-Dienst oder Digitalradio. Die vierte Generation sei derzeit erfolgreich am Markt platziert und im Labor stehe bereits die fünfte mit KI-Kern in den Startlöchern, so Grill.
Aktuelle, weiterentwickelte Codecs verkleinern die Datenrate noch einmal um ein Zehnfaches im Vergleich zu MP3. Das sei zum Beispiel dort wichtig, wo die Datenraten schlechter seien oder viele Menschen gleichzeitig auf ein Signal zugreifen. Unterwegs Filme schauen oder Musik hören mit durchgängig qualitativ hochwertigem Ton sei damit problemlos möglich, versichert Bernhard Grill. Die Erfolgsgeschichte der 30 Jahre alten Erfindung ist also längst noch nicht zu Ende erzählt.