Nicht mal der Parmesan, dieser König unter den italienischen Käsen, darf bleiben, was er ist – obwohl Alberto Grandi mit ihm noch vergleichsweise glimpflich umgeht. Richtig Geschichte habe der, versichert er. Tausend Jahre und mehr. Sogar Boccaccio erwähnt ihn in seinem berühmten „Decamerone“, ein Gebirge geriebenen Parmesans wird dort imaginiert, im 14. Jahrhundert, mehr Tradition geht kaum.
Aber noch ehe die Apologeten italienischer Küchenmythen die Arme zum Jubel hochreißen können, kommt der zielsichere Punch: Wer wissen wolle, wie der Parmesan von früher schmecke, schreibt Grandi, „muss nach Wisconsin reisen und nicht nach Parma.“
Ursprünglicher Parmesan wird in Wisconsin produziert
Tatsächlich hat der Parmesan, der noch heute in Wisconsin hergestellt wird, weitaus mehr Ähnlichkeiten mit dem „Käseetwas“, das Boccaccio beschreibt: klein, weich, fettig und außen schwarz. Nicht gerade das, was man von einem echten Parmigiano Reggiano erwarten würde, diesem wagenradgroßen, beinahe zentnerschweren und durch und durch blonden Monster von einem Hartkäse.
Und das ist auch kein Wunder, meint Grandi. Schließlich ist der heutige Parmigiano das Resultat kulinarischer Innovationen der 1960er-Jahre. Der Originale ist also eine relativ neue Erfindung – während der Ursprüngliche, ein Import italienischer Einwanderer, in den USA sein Dasein als Käse zweiter Klasse fristet. Geschichte ist grausam.
Und sie ist – wenn man Grandi glauben möchte – der Feind der italienischen Küche. Genauer gesagt: Feind ihres Überbaus. Der Wirtschaftshistoriker aus Parma ist angetreten, die kulinarischen Mythen seines Heimatlandes zu entlarven. Seine These in aller Kürze: Die authentische italienische Küche ist eine Marketingerfindung der Siebziger und Achtzigerjahre – des 20. Jahrhunderts wohlgemerkt! Ideologiekritik am Beispiel der Tortellini – und damit am offenen Herzen der italienischen Identität. Grandi hat in ein Wespennest gestochen.
In Italien löste Grandi einen Skandal aus
Er habe manchmal das Gefühl, er sei derjenige, der den Leuten erzählt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, hat Grandi in einem seiner Podcasts erzählt. Dort erreicht er inzwischen ein Millionenpublikum. Nachdem er seine Thesen vergangenes Jahr auch noch in der „Financial Times“ zum Besten gab, sah sich sogar Matteo Salvini zur Widerrede genötigt. Reine Missgunst spreche aus diesen Thesen, polterte der Rechtsnationalist auf Facebook. Zumal, wenn sie im Ausland aufgegriffen würden. Man neide den Italienern eben ihren Geschmack. Dabei geht’s darum ja gar nicht.
Geschenke gibt’s schließlich auch ohne Weihnachtsmann, meint Grandi. An der Güte von Pizza, Pasta und Parmesan lässt er also keinen Zweifel – ihm geht es, wie gesagt, um ihre Geschichte. „Die italienische Küche, ab Mitte der 1960er-Jahre entstanden, ist ein Jurassic Park“, schreibt er.
Vermeintlich Urzeitliches aus dem Marketing-Labor also: kein Käse, den nicht schon Römer oder Kelten verspeist hätten, kein Speck, den nicht schon Leonardo gekostet hätte. In einigen Fällen errege „die verzweifelte Suche nach antiken Wurzeln geradezu Mitleid“, kommentiert Grandi süffisant. An anderer Stelle bittet er um Nachsicht. Man möge ihm verzeihen, dass er rhetorisch „mit der Machete dreinschlage, aber ich bin es leid, um den heißen Brei herumzureden.“