Rapunzel, die sich mit ihrem langen Zopf einen Ritter angelt. Schneewittchen mit Haaren schwarz wie Ebenholz. Struwwelpeter, Läuse-Laurin oder der Teufel mit den drei goldenen Haaren: Haare spielen in Märchen und Kinderbüchern eine wichtige Rolle – genau wie im richtigen Leben, sagt Kuratorin Ines Galling: „Haare sind ein wichtiges Merkmal unseres Seins, oder wie wir sind, wie wir uns darstellen wollen, was zeigen wir mit unserer Frisur, wollen wir lange Haare haben, wollen wir kurze Haare haben? Von daher sind Haare ein Thema, das alle angeht.“
Rote Haare stehen für Anarchie
Ines Galling hat Hunderte von Kinderbüchern nach Haaren durchforstet. Kaum eine Farbe oder Frisur, die nicht schon irgendwo gezeichnet worden wäre. Denn Haare eignen sich hervorragend dazu, Figuren zu charakterisieren.
Mit dem Pumuckl, dem Sams und Pippi Langstrumpf sind gleich drei der berühmtesten Kinderbuchfiguren rothaarig. Kein Wunder, denn Rot steht laut Ines Galling für das Anarchische: „Rot ist die prominenteste Farbe, hier sehen wir die kleine My von den Mumins, die hat auch rote Haare und ist ganz frech und clever, die Figuren mit roten Haaren sind meist ein bisschen naseweiß und schlau und lassen sich nicht so viel sagen, da ist die Verbindung Haarfarbe – Charaktereigenschaft ganz deutlich.“
Lange goldene Haare stehen für außergewöhnliche Schönheit, Grün wiederum für Naturverbundenheit, man denke nur an den kleinen Wassermann oder die Wawuschels mit den grünen Haaren. „Ich habe das Buch geliebt als Kind, weil die Wawuschels haben Haare, die grün sind und die im Dunkeln leuchten. Das wollte ich auch“, erinnert sich Ines Galling.
Haare erzählen eigene Geschichten
Neben den bekannten Figuren präsentiert die Ausstellung auch Unbekanntes. Ein Kinderbuch aus Norwegen zeigt eine ältere Dame, die gerade ein Kartenhaus baut, ihre Haare sind weiß, ganz zart zeichnen sich darin Figuren ab: ein Liebespaar, ein Hund, ein Segelschiff – eine Haarwolke aus Erinnerungen.
Illustratoren und Illustratorinnen dienen Haare aber nicht nur zur Charakterisierung einer Figur, sie eignen sich auch hervorragend, um damit zu spielen und eine Geschichte visuell zu erzählen. Ein Buch aus Frankreich etwa zeigt eine moderne Version des Medusa-Mythos: Mère Méduse hält ihr Kind mit ihren tentakelartigen Haaren weich, aber auch fest umschlossen: „Es geht um eine Mutter-Kind-Beziehung und die Mutter möchte das Kind eigentlich nicht loslassen und hält es mit den Haaren fest. Im Lauf der Geschichte löst sich das Kind aber und die Mutter versteht das dann auch. Aber da werden die Haare wirklich genommen und werden fast vermenschlicht, weil sie so eine Eigenmacht bekommen.“
Wuschelhaare im Wandel: Von unsittsam bis freiheitsliebend
Die meisten Kinderbuchfiguren sind mit ihren Haaren übrigens zufrieden, auch wenn es mit der Haarpracht nicht immer ganz einfach ist. Ein Buch aus den Niederlanden zeigt die Prinzessin mit den gaaaanz langen Haaren: „Diese Prinzessin hat einfach ellenlange Haare, sie braucht fünf Diener, um die zu kämmen, und sie muss die natürlich immer irgendwie bändigen, um auch beweglich zu sein. Gleichzeitig kann sie sich in die Haare einrollen wie in einen Kokon und braucht dann keine Bettdecke mehr. Dann sind die Haare auch praktisch.“
Interessant auch der historische Wandel in Ansehen und Umgang mit Haaren. „Ich habe auch einen alten Struwwelpeter hier, um zu zeigen, wie sich Sachen wandeln, weil damals ungekämmt zu sein war ein Problem, das wurde damit verbunden, dass man unsittsam und nicht tugendhaft sei. Das ist heute nicht mehr so streng, heute wird ein Wuschelkopf mit Freiheit verbunden, und das ist positiv konnotiert.“
Neben den Illustrationen locken Perücken zum Ausprobieren, Haarfarbenkataloge und natürlich jede Menge Bücher zum Durchblättern: vom haarigen Kinderbuch aus Japan bis zum Sachbuch für werdende Haar-Experten.
„Was ist da los auf dem Kopf? Haariges aus Kinderbüchern“: Bis Februar 2026 in der Internationalen Jugendbibliothek in Schloss Blutenburg in München.