In diesem Frühjahr sind von Büchern schon einige Appelle, wenn nicht gar Imperative ausgegangen: „Entromantisiert Euch!“ heißt zum Beispiel ein „Weckruf zur Abschaffung der Liebe“. „Besinnt Euch!“ ist ein in wenigen Tagen in Buchform erscheinender Aufsatz des vor kurzem verstorbenen Liberalen Gerhart Baum. „Entpolarisiert Euch!“ will „mit Philosophie gegen die Spaltung der Gesellschaft“ angehen und „Entspannt Euch!“ wiederum ist ein Büchlein darüber, „warum moralische Empörung nicht hilft“. Das ist deshalb komisch, weil die Urform dieses offenkundig erfolgsträchtigen Genres just „Empört Euch!“ heißt.
Der große Stéphane Hessel, der in der Résistance kämpfte, hat als Unbeugsamer, der er war, ein entsprechend betiteltes Buch 2010 vorgelegt, und dem dann noch den Bestseller „Engagiert Euch!“ folgen lassen. Seitdem kennen die Verlage kein Halten mehr. Es wimmelt nur so von sanften Bitten, gestrengen Ermahnungen und rüden Aufforderungen auf Büchern: „Streitet Euch!“ – „Reformiert Euch!“ – „Radikalisiert Euch!“ – „Entrüstet Euch!“ – „Verbündet Euch!“ – „Transformiert Euch!“ – „Traut Euch, träumt!“ – „Trennt euch!“ steht da dann auf dem Cover, „Desintegriert Euch!“ oder auch – wir können es nicht verschweigen – „Fickt Euch!“
Barrikadenkampf und Kasernenhofton
Längst also ist daraus eine Masche geworden. Dabei ist das ziemlich unbehaglich, vom Buch angeschrien und zu irgendetwas angehalten zu werden. Es erinnert an diesen Kasernenhofton von „Rührt Euch!“, an Drill, Barrikadenkampf und, ja: auch an Predigten von Kirchenkanzeln herab, an dieses salbadernde Reden im Verkünder-Ton: Freuet Euch, jauchzet, frohlocket und sorget euch nicht.
Zudem werden die Titel in jüngster Vergangenheit immer absonderlicher. Um nur einige besonders bizarre Titel zu nehmen: „Ent-eltert euch!“ war ein Buch darüber, „wie wir die emotionale Abhängigkeit von unseren Eltern überwinden und endlich uns selbst leben“. „Entlehrt euch!“ war ein Aufruf zum „Ausbruch aus dem Vollständigkeitswahn“ und hatte wohl irgendwas mit Bildung zu tun. „Enthetzt Euch!“ immerhin war selbsterklärend, genauso wie „Entängstigt Euch“ und „Entfeindet Euch!“
„Ich bin keiner von euch“
Wobei man zu Letzterem früher einfach „Fürchtet Euch nicht“ bzw. „Vertragt Euch“ gesagt hätte, aber wir leben ja bekanntlich in umstandskrämerischen Zeiten, in denen Halter von mehrerlei Hundevieh offenbar Lebenshilfe benötigen, sonst gäbe es das Buch über das „harmonische Hundeleben unter einem Dach“ nicht, das da eben heißt: „Vertragt Euch!“ „Verdragt Euch“ hingegen ist nicht etwa die fränkische Spielart davon, sondern spricht sich englisch „VerDragt Euch“ aus und handelt von den Verkleidungskünsten von Drag-Queens und –Kings. Der Verfasser dieser Zeilen sagt da mit Hans Magnus Enzensberger: „Ich bin keiner von euch / und keiner von uns.“ Liebe Verlage, stellt Euch doch nicht so an. Strengt Euch an! Erfindet Euch neu! Bewegt Euch! – Ach, das sind auch schon alles Buch-Titel? Na dann, schleicht’s Euch.