Der Name, den sich ein Papst gibt, sagt viel über sein Programm. Viele meinen: Kardinal Robert Prevost nennt sich Papst Leo wegen Leo XIII. Der ging als „Arbeiterpapst“ in die Geschichte ein, schrieb die erste Sozialenzyklika der Katholischen Kirche, gab Journalisten Interviews und wollte die Spaltung in Kapitalismus und Kommunismus überwinden. Es könne gut sein, dass der neue Papst, Leo XIV., daran anknüpfen will, sagt auch Markus Vogt, katholischer Sozialethiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
„Arbeiterpapst“ schreibt mit Enzyklika Geschichte
Blick zurück aufs große Vorbild Ende des 19. Jahrhunderts: Mit der Enzyklika „Rerum Novarum“ von Leo XIII. begann ein neues Kapitel innerhalb der katholischen Kirche: Sein Schreiben von 1891 griff erstmals die zu dieser Zeit drängende soziale Frage auf. Jedoch „fünfzig Jahre zu spät“, sagt Vogt im BR-Gespräch. „Denn die soziale Frage war damals ganz und gar nicht neu.“
Vom Elend betroffen war damals vor allem die Arbeiterklasse, deren Niedriglöhne kaum zur Existenzsicherung reichten. In der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen zog es viele in die Städte, was knappen Wohnraum bei widrigen Lebensbedingungen zur Folge hatte.
Demgegenüber forderte der „Arbeiterpapst“ Leo XIII. in seiner Schrift „Rerum Novarum“ vom Staat, „dass alles zu fördern ist, was irgendwie der Lage der Arbeiterschaft nützen kann“. Auch die karitative Aufgabe der Kirche sei es demnach, „geeignete praktische Maßnahmen zur Milderung des materiellen Notstandes“ zu treffen. Damit ging Papst Leo XIII. als Begründer der katholischen Soziallehre in die Geschichte ein.
Leo XIV. – wirtschaftsrealistischer als Franziskus?
Die Namenswahl des neuen Papstes sei eine Ansage, ist Vogt überzeugt. Prevosts Biografie sensibilisierte den späteren Papst für die soziale Frage. Geboren und aufgewachsen ist Prevost in Chicago, er kenne „die harte Schule“ des Wirtschaftsliberalismus à la „business is business“; den krassen Gegensatz erlebte er in seiner Amtszeit als Bischof in der peruanischen Diözese Chiclayo, wo wirtschaftliche Abhängigkeit und Armut herrschen.
„Und ich glaube, dass er die ganze Spannbreite gegenwärtiger Differenz in der Wirtschaft nicht einfach nur als Alternativdiskurs ins Gespräch bringt, sondern – vielleicht auch mehr als Franziskus – noch eine Wertschätzung hat für marktwirtschaftliche Instrumente, die wir, glaube ich, auch für Armutsbekämpfung und auch für Umweltpolitik brauchen“, sagt Vogt.
Damit wäre der US-Amerikaner, der seit 2015 auch einen peruanischen Pass hat, nicht nur kirchlich, sondern auch wirtschaftlich ein Brückenbauer, ein Vermittler zwischen Arm und Reich – oder, wie es der Vizepräsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, der Theologe Thomas Söding, im BR formuliert: „Nord und Süd vereinigen sich in seiner Person, eine wichtige Botschaft. Dieser Papst aus den Vereinigten Staaten stimmt eine ganz andere Melodie als der gegenwärtige Präsident der Vereinigten Staaten an und vor allen Dingen steht er für die katholische Kirche mit 1,4 Milliarden Mitgliedern, die eine Friedensorganisation sein will und muss!“
„Völlig klar, dass Papst Leo XIV. ein Antipode zu Trump darstellt“
Diesen Akzent setzte Leo XIV. auch just nach seiner Wahl, als er sich vom Balkon des Petersdoms aus an die Weltöffentlichkeit wandte: Wiederholt sprach er vom Frieden, der von Christus her „demütig“ und „waffenlos“ sein müsse. Eindeutige Worte für Markus Vogt von der Universität München: „Es ist völlig klar, dass Papst Leo XIV. ein Antipode zu Trump darstellt.“ Denn „die Disruption der Welt“ gehe derzeit eindeutig vom US-Präsidenten aus. „Und es ist ja nicht nur Trump als Person, sondern es ist die Stimmungslage im ganzen Land, die gekippt ist. Die Weltordnung, wie wir sie in den letzten 80 Jahren hatten, mit dem transatlantischen Werte- und Sicherheitsbündnis, ist vorbei.“
Von seinem Werdegang her und nicht zuletzt durch seine diplomatischen Fähigkeiten traut der Sozialethiker dem neuen Papst durchaus zu, Wirtschaft und Politik wichtige Impulse zu geben. Ob er das wie sein Namensvorgänger Leo XIII. mit einem bahnbrechenden Lehrschreiben tun wird, bleibt abzuwarten.
Dessen Enzyklika „Rerum Novarum“ bräuchte jedenfalls ein Update, meint Vogt: „In vielerlei Hinsicht haben wir keine Marktwirtschaft, sondern eine Machtwirtschaft, weil der Finanzkapitalismus zur Bereicherung Weniger führt. Und im Grunde sind die wichtigsten Unternehmen heute alles Digital-Unternehmen, also die Macht der Information, damit Menschen manipulieren zu können. Darauf haben wir bis jetzt keine wirtschaftsethische und auch keine theologische Antwort.“