An der Diskussionsrunde zur Vorstellung des Projekts Ars Moriendi nahm auch die Münchner Palliativmedizinerin Claudia Bausewein teil. Wie ändert sich der Blick auf das Leben, wenn klar wird, dass man sich – manchmal plötzlich, manchmal lange angekündigt – konkret mit dem Tod auseinandersetzen muss? Die Menschen, die sich bei Projekt-Künstler Gregor Schneider meldeten, verbindet der Wunsch, das Leben bis zum Ende zu gestalten:
„Tägliche Dankbarkeit, nur noch der Augenblick“
Es seien Menschen, sagt Schneider, die sich sehr bewusst schon mit dem Sterben, dem Tod, auseinander gesetzt haben, Menschen, die „sehr aktiv, selbstbestimmt“ leben wollen. Es verändert sich, sagt eine Frau, dass man „eine tägliche Dankbarkeit empfindet, dass es halt heute noch nicht so weit ist.“
„Für mich das Wichtige im Leben“, ergänzt ein Mann, „ist im Moment nur noch der Augenblick. Vor acht Wochen dachte nicht nur ich, dass es zu Ende geht.“ Leute seien gekommen, um sich von ihm zu verabschieden. Jetzt zum vergangenen Wochenende feiere er seinen 60. Geburtstag. „Da sah ich Leute wieder, die dachten, wir hätten uns vor acht Wochen im Krankenhaus zum letzten Mal gesehen.“
Gefühle von Angst, Wut, Scham, Kontrollverlust
Es sind bewegende Zeitzeugnisse, von Menschen, die intime Einblicke gewähren, in ihre Gefühle der Angst, Wut, Scham und des Kontrollverlusts. Gleichzeitig, sagt Schneider, spürte er in allen Gesprächen vor allem eine große Dankbarkeit für das Leben und seine Lehren.
Es zähle nicht, „was bekomme ich“, sagt eine Frau, „oder was kriege ich“, sondern es zähle, „was kann ich geben oder verschenken.“ Eine andere sagt: „Also für mich fängt es mit einem Lächeln an, wenn ich auf die Straße gehe, zum Beispiel Richtung U-Bahn, versuche ich die entgegenlaufenden Menschen, freundlich anzulächeln.“ Manchmal schaffe sie es von sieben oder acht, zwei zum Lächeln zu bringen.
Der Unausweichlichkeit etwas entgegensetzen
Das Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt, es sollen weiter Menschen dazu kommen – die öffentlich zugängliche Enzyklopädie des Sterblichen soll weiter wachsen. Es ist nichts Unethisches, nichts Voyeuristisches dabei – es ist der empathische und zutiefst humanistische Versuch, der Unausweichlichkeit, der unverfügbaren Erfahrung des Todes, wie Schneider sagt – etwas entgegenzusetzen.
„Wenn ich an das Vorhaben denke, denke ich an große Gefühle, überwältigende Empfindungen, und das ist auch glaube ich das, was uns der Sterbende zeigen kann. Was das Menschsein ausmascht, es ist letztendlich ein Gestaltungsauftrag an jeden Einzelnen, jeder ist auch ein Betroffener.“