März 2020: Der chinesische Künstler und Dissident Ai Weiwei übernimmt den Posten als künstlerischer Direktor von Puccinis Turandot an der Oper Rom. Der Dokumentarfilmer Maxim Derevianko begleitet die Produktion von Ai Weiweis erster Begegnung mit dem Team bis zum Abend der Premiere. Von Anfang an ist klar: Der Star-Künstler hat keine Ahnung von der Bühnenkunst und weiß das auch. Aber er hat eine klare künstlerische Vision und lässt sich für die Umsetzung gern von den Profis an die Hand nehmen.
Als durch und durch politischer Künstler will Ai Weiwei die Geschichte der grausamen chinesischen Prinzessin Turandot, die ihre Freier köpfen lässt, wenn sie ihre Rätsel nicht lösen können, ins Heute übersetzen. Er zieht Parallelen zur eingeschränkten Redefreiheit in China und den Protesten in Hongkong.
Das Stück wird von der Realität eingeholt
Doch dann der Schock: 2021 muss die Oper wegen der Covid-Pandemie geschlossen werden, die Produktion wird unterbrochen. Als es endlich weitergeht, die nächste Katastrophe: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dirigentin und Hauptdarstellerin sind Ukrainerinnen. Die im Stück angelegten Fragen von Freiheit und Flucht gewinnen plötzlich zeitgeschichtliche Relevanz.
Dank des Opern-Settings ist der Dokumentarfilm „Ai Weiwei’s Turandot“ erstaunlich bildgewaltig. Üppige Kostüme treffen auf ein ausgeklügeltes Bühnenbild, Ausschnitte aus der fertigen Produktion auf dokumentarisches Material aus Ai Weiweis Leben – seine kritischen Recherchen nach dem Erdbeben in Sichuan etwa und die darauffolgende Festnahme durch die chinesische Polizei.
Der Dokumentarfilm ist einer von insgesamt sechs Filmen in der neuen Reihe „About Art“ beim Münchner DOK.fest.
Die Kunst steht im Zentrum des Films
Auch mit dabei: „We All Bleed Red – Wir bluten alle rot“ von Josephine Links. Der Film begleitet den in New York lebenden deutschen Fotografen Martin Schoeller. Bekannt ist Schoeller für seine Close-Ups: großformatige Promi-Porträts von Jack Nicholson oder Angelina Jolie. „We All Bleed Red“ aber zeigt den Fotografen bei seiner Arbeit mit Unbekannten, darunter Obdachlosen und Drogenabhängigen. Auch Menschen, die unschuldig in der Todeszelle saßen, Native Americans oder Holocaust-Überlebende fotografiert Schoeller. Und nicht nur das: Er hört sich auch ihre Geschichten an.
Im Film kommt Schoeller selbst dabei völlig unprätentiös rüber: Wir sehen ihn, wie er voll echtem Interesse auf die Menschen zugeht, im Gespräch mit seinen Mitarbeitern, in der Familienküche. Wie schon in „Ai Weiwei’s Turandot“ steht hier nicht der Künstler, sondern die Kunst im Zentrum des Films.
Nicht nur bekannte, sondern auch unbekannte Namen
Neben den großen Namen beleuchtet die Reihe aber auch weniger prominente Künstlerinnen und Künstler, wie etwa den queeren Sänger und Maler Ivo, der den Anfeindungen in seiner Heimat Bulgarien mit unerschütterlichem Optimismus begegnet. „A Sudden Glimpse to Deeper Things“ von Mark Cousins erzählt von der britische Malerin Wilhelmina Barns-Graham, die 1949 den Schweizer Grindelwaldgletscher bestieg – ein tiefgreifendes Erlebnis und Wendepunkt in ihrer Kunst.
Was die verschiedenen Filme eint: Alle erlauben einen Blick hinter die Kulissen der Kunst und zeigen, wie sie entsteht. Dabei wird immer wieder klar: Kunst ist nicht irgendeine Parallelwelt, sie ist direkt mit dem Leben verbunden und kann zur treibenden Kraft für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft werden.