Madrid 2021: Von einem Kunsthändler wird ein Gemälde mit einem gegeißelten Jesus zum Verkauf angeboten. Er trägt die Dornenkrone und wird von Pilatus der Menge vorgeführt, mit den berühmten Worten „Ecce homo – seht, ein Mensch“. Ein über Jahrhunderte tausendfach benutztes Motiv. Und doch, dieses Gemälde erregte Aufsehen. Weshalb? Davon erzählt der Dokumentarfilm „Ecce Homo – Der verlorene Caravaggio“.
Der Traum eines jeden Kunsthändlers: ein auf dem Markt unterbewertetes Bild zu finden. Und das Madrider Bild könnte vielleicht ein Gemälde sein, von dessen Existenz man zwar wusste, aber das seit als Jahrhunderten als verschollen galt. In der Besitzerfamilie Mendez hielt man es für ein eher mäßiges spanisches Barockbild. Dann musste die letzte Besitzerin in eine kleinere Wohnung umziehen. Ihre Nichte schlug vor, das Bild in eine Galerie einzuliefern. Gerechnet hatte die Familie mit 1.500 Euro, vor allem wegen des historischen Rahmens.
200 Millionen für den verschollenen Caravaggio
Dann wurde das Bild für eine Auktion online gestellt. Und kurz darauf traf das erste Angebot eines Kunsthändlers ein: 600.000 Euro. Dann 3 Millionen. Ein anderer bot 10. Wie die Hyänen seien die Händler um das Bild geschlichen, so der Kunsthändler Andrea Lullo im Film. Dann stand plötzlich ein möglicher Wert von 200 Millionen im Raum.
Was war passiert? Händler aus aller Welt vermuteten: Das Gemälde sei ein echter Caravaggio. Der große Barockmaler war ein Meister der spektakulären Hell-Dunkel-Effekte, eines neuen Realismus – Stichwort dreckige Fußsohlen bei christlichen Heiligen. Ebenso spektakulär seine Biografie: Seine mutmaßliche Homosexualität, eine Anklage wegen Mordes, jahrelang auf der Flucht, sein früher Tod mit 38. Jetzt die Frage, wie schon bei Leonardos „Salvator Mundi“: Ist das Bild wirklich echt? Wirklich von der Hand des Meisters selbst?
Zweifel, ob wirklich ein echter Caravaggio
Tatsächlich gab es Zweifel. Die Hände waren zu schlecht gemalt für Caravaggio. Nur ein Fehler einer alten, unsachgemäßen Restaurierung? Die durch eine neue zu korrigieren sein sollte – allerdings muss die hochprofessionell sein, sonst verliert das Gemälde seinen ganzen Wert, so drei Kunsthändler im Gespräch. Eine unglaubliche Szene mit drei Kunsthändlern. Und da kommen doch Zweifel auf: Würde vor dem Verkauf, mitten in den Verhandlungen, eine Firma ein so vertrauliches Gespräch abfilmen lassen?
Der Regisseur Álvaro Longoria behauptet, überall dabei gewesen zu sein. Wirklich? Die Szene wirkt sehr gestellt, perfekt ausgeleuchtet, exzellenter Ton. Auch eine andere nährt Zweifel: Dort fährt ein Händler mit einer Hand über die Oberfläche des Bildes: Bei einem über 400 Jahre alten Gemälde ist das quasi grobe Sachbeschädigung. Vermutlich wurde für die Filmaufnahme eine Kopie angefertigt – und die darf natürlich berührt werden. Wurde hier nachinszeniert? Ist dieser Dokumentarfilm also viel weniger dokumentarisch, als er vorgibt?
Am Ende wurde das Gemälde „Ecce Homo“ offenbar für einen deutlich geringeren Preis verkauft – allerdings wurde über die genaue Summe Stillschweigen vereinbart. Das erzählt der Film detailliert und spannend, mit einem Besuch beim Restaurator und vielen Gesprächen mit Sachverständigen. So erfahren wir als Zuschauende eine Menge über Provenienz, Zuschreibungen, Werkstätten und Ausfuhrbedingungen: Spanien hatte die Ausfuhr verboten, was die Zahl möglichen Käufer deutlich reduzierte.