Im Kreml gebe es wohl viele Fans des französischen Schriftstellers Jules Verne (1928 – 1905), vermutete einer der maßgeblichen russischen Blogger: „Die dortigen Vorhaben erinnern zunehmend an Science-Fiction, wo einerseits die feurigen Mienen der Optimisten auszumachen sind, andererseits die nüchterne Realität.“ Anlass für den Spott: Putin will bis 2030 die Produktion inländischer Passagierflugzeuge ankurbeln, den Alkoholkonsum pro Kopf senken und die Lebensqualität der Russen steigern. Das erinnere an die Fantastereien von Jules Vernes Roman „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ (1864): „Es genügt offenbar, staatlich anzuordnen, dass alles gut wird. Die Verantwortung für die Umsetzung liegt dann bei den Untergebenen.“
Putin: „Komm schon, das muss doch mehr sein“
Der kremlkritische Kommentator Anatoli Nesmijan (122.000 Fans) höhnte, der Kreml und seine Statistik-Experten seien inzwischen zur „Organoleptik“-Methode übergegangen und beurteilten alles nur noch nach ihrem persönlichen Geschmack, wie etwa Weinkenner oder Feinschmecker: „Daran ist natürlich rein gar nichts Überraschendes. In einem Land, in dem Lügen zum geistigen Zusammenhalt beitragen, kann es grundsätzlich keine einzige Behörde geben, in der die Wahrheit gesagt wird. Das passiert einfach nicht.“ Nesmijan machte sich damit über die Behauptung des Kremls lustig, wonach das „Armutsniveau“ in Russland deutlich gesunken sei. Gleichzeitig spielte er auf eine Anekdote an, mit der Putin seine eigene Glaubwürdigkeit erheblich erschütterte.
Bei einem Besuch des Moskauer Bürgermeisters Sergei Sobjanin hatte sich der russische Präsident nach dem Durchschnittsgehalt der Hauptstädter erkundigt. Sobjanin antwortete, das liege zwischen umgerechnet 1.400 und 1.600 Euro, während eine Stimme aus dem Publikum flüsterte, es seien 900 Euro. „Komm schon, das muss doch mehr sein“, platzte es aus Putin spontan heraus. Dieses „ehrliche Erstaunen“, wie staatsnahe Medien formulierten, hält Russlands Blogger seit Tagen in Atem. Gerüchteweise ordnete der Kreml an, Videos von dem Vorfall aus dem Netz zu entfernen.
Wie Hauptstadt-Journalisten recherchierten, liegt das „Mediangehalt“ je nach Quelle sogar nur bei 470 und 650 Euro, das heißt, die Hälfte der abhängig beschäftigten Moskauer verdient weniger, die Hälfte mehr. Dazu Blogger Juri Dolguruki (72.000 Fans): „Ich esse Kohl, du isst Fleisch, im Durchschnitt essen wir Kohlrouladen. Dieser traurige Witz kommt mir im Zusammenhang mit der wieder einmal entbrannten Debatte um Gehälter in den Sinn.“