Der schönste Tag des Lebens – insgeheim wartet doch jeder auf ihn. Anora, die lieber nur kurz Ani genannt werden möchte, arbeitet mit vollem Körpereinsatz daran, anderen diesen Traum zu erfüllen. Die junge Stripperin liest ihren Kunden im neonglitzernden Halbdunkel eines Sexclubs in Manhattan jeden Wunsch von den Augen ab – nicht, weil es ihr Spaß macht, sondern weil es mehr Geld bringt. Die Beats wummern, die kaum verhüllten Hüften kreisen, die Sorgen verschwinden im Schampusrausch.
Kein „Pretty Woman“
Wunschlos glücklich sind am Ende so einer Nacht nur die Kunden. Von Ani ohnehin nicht gesuchte Traumprinzen verkehren nicht in diesem Milieu, in dem die einen körperliche Nähe suchen und die dafür Bezahlten innerlich auf Distanz gehen. Eines Abends jedoch verirrt sich Ivan in den Club. Der 21-jährige Oligarchensohn, Prototyp eines verzogenen Nepo-Babys, will Ani für sich haben, bietet ihr 15.000 Dollar für eine Woche voller Jux, Sex und Tollerei in einer Villa am Rand von Brooklyn.
Erinnert an „Pretty Woman“? Hat mit dem Julia-Roberts-Klassiker aber herzlich wenig zu tun. Schließlich hat sich Independent-Regisseur Sean Baker in den letzten Jahren einen Namen als Anwalt der Sexarbeiter gemacht, der nichts beschönigt, aber auch nicht verurteilt, der von prekären Verhältnissen und Menschen erzählt, die dem Leben am Existenzminimum entfliehen wollen, aber kaum Chancen dazu haben. In „Anora“ gönnt er seiner Titelfigur erstmals einen märchenhaften Moment: Nach einer durchzechten Nacht in Vegas rennt das ungewöhnliche Paar zum nächstbesten Friedensrichter und auch für Ani scheint endlich der schönste Tag ihres Lebens einzutreten.