Das ersehnte Wunschbuch ist nicht verfügbar, die Wartezeit wird mit sechs Wochen angegeben? Das kommt zurzeit öfter vor. Das Problem taucht bei ganz bestimmten Büchern auf, nämlich bei solchen, die sehr viele Menschen sehr plötzlich möglichst bald lesen wollen: überraschende Bestseller zum Beispiel oder Bücher, die einen großen Preis bekommen haben.
Deshalb spitzt sich das Problem gerade im letzten Viertel des Jahres zu: Der Literaturnobelpreis wird traditionell Anfang Oktober vergeben, der Deutsche Buchpreis folgt zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse Mitte Oktober, wenig später folgt der Bayerische Buchpreis, der jedes Jahr Ende Oktober verliehen wird.
Buchpreisgewinn – und die Herausforderung der schnellen Nachproduktion
Beispiel Dorothee Elmiger: Ihr Buch „Die Holländerinnen“ hatte zunächst eine Auflage von rund 5.400 Exemplaren. Die waren im Nu ausverkauft, als der Roman am 13. Oktober den Deutschen Buchpreis gewann. Die Verlage, die ein Buch für einen großen Preis im Rennen haben, sind für diesen Moment vorbereitet: Sie haben Slots bei ihren Druckereien reserviert, um so schnell wie möglich nachdrucken zu können.
Trotzdem dauert es eine Weile, bis 100.000 Bücher nachgedruckt, gebunden und ausgeliefert ist. Verlage, deren Buch nicht gewonnen hat, nutzen ihren Druck-Slot einfach fürs reguläre Programm.
Im Herbst herrscht Hochkonjunktur
So weit, so normal. In diesem Herbst aber scheint das Problem größer. Auch Titel, die keinen großen Preis bekommen haben, sind nicht lieferbar. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat eine Umfrage zum Thema Lieferengpass gestartet: Zwei Drittel aller befragten Buchhändler nannte die aktuelle Lage „katastrophal“.
Für die Buchhandlungen ist es fatal, wenn sie die Wünsche der Kunden nicht sofort bedienen können, denn die Aufmerksamkeitsspanne für Bücher sei gesunken, sagt Michael Lemling, Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl in München: „Das heißt, wenn jetzt zum Beispiel Götz Aly mit seinem neuen Buch „Wie konnte das geschehen?“ überall hervorragend besprochen wird und die Auflage ist weg und es dauert vier bis sechs Wochen, bis der Verlag einen Nachdruck liefern kann, dann ist einfach der Götz Aly nicht mehr im Gespräch.“
Digitalisierung, Druckereimangel und vorsichtige Verlagsstrategien
Lieferengpässe hat es auch in früheren Jahren gegeben: 2020 kam es wegen der Corona-Krise zu Lieferproblemen beim Papier, der Ukraine-Krieg 2022 hatte ähnliche Folgen. Aber woran liegt es diesmal? Einerseits wird wegen der zunehmenden Digitalisierung weniger Druckpapier hergestellt. In den letzten zehn Jahren ist der Anteil um ein Drittel geschrumpft. Außerdem gibt es immer weniger Druckereien, die Bücher drucken: Ihre Anzahl hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert.
Aber auch die Verlage sind nicht ganz unbeteiligt am Problem: um ihr Risiko zu minimieren und nicht auf unbeliebten Büchern sitzen zu bleiben, geben sie immer nur kleine Druckaufträge. Statt langfristig zu planen, arbeiten sie heute lieber „just in time“. Dazu Michael Lemling: „Der Buchhändler ist nicht mehr so sicher, welche Titel in welcher Stückzahl verkauft werden können, bestellt vorsichtiger. Der Verlag druckt vorsichtiger. Aber dann bekommt das Buch eine tolle Besprechung oder einen tollen Preis – und dann ist die Malaise da.“
Papiermangel und Extrawünsche
Auch die Gestaltung der Bücher kann die Auslieferung einer Neuauflage verzögern: besondere Buchformate oder Papiere machen die Herstellung zeitaufwendiger. Kein Problem hat in dieser Hinsicht Diogenes. Der Schweizer Verlag arbeitet mit einem Standard-Layout für alle Bücher: Größe, Farbe, Papierqualität und Schriftart sind immer gleich klein.
Andere Verlage setzen auf individuelle Gestaltung in ungewöhnlichen Formaten mit Fadenbindung, Leinencover und Lesebändchen. Die Kunden schätzen hochwertig produzierte Bücher, doch ihr Druck braucht mehr Vorlauf.
Gefahr fürs Weihnachtsgeschäft?
Die derzeitigen Lieferengpässe machen Michael Lemling vor allem mit Bick auf Weihnachten Sorgen: Das Weihnachtsgeschäft bildet einen Großteil des Umsatzes von Buchläden. „Wir haben 20.000 Bücher bei uns in der Buchhandlung, der Kunde steht also nicht vor leeren Regalen. Uns tun aber natürlich die fünf Spitzentitel, die jetzt fehlen und verkauft werden könnten, richtig weh.“ Das gilt übrigens auch für die Verlage und natürlich die Autorinnen und Autoren, die bei weniger verkauften Büchern auch weniger verdienen.