Man kennt das vielleicht von alten Fotos: Man guckt da drauf, und denkt sich: „Krass, wie die alle gleich ausschauen. Die haben dieselben Hosen an, dieselben Hemden, dieselben Frisuren.“ Das Kunstmagazin Monopol hat diesen Gedanken aufgegriffen und noch eins draufgesetzt. Die These: Noch nie haben alle so gleich ausgeschaut wie heute. Von wegen Individualität. Vor allem junge Menschen kleideten sich angeblich immer uniformer, auch aufgrund der algorithmisierten Trends auf Social Media. Die zeigen immer einen Minimalkonsens, weil er funktioniert – eine technologische Gleichmacherei. „Gleichzeitig zeigen diese leeren Outfits, die oft aus Fast-Fashion-Mode zusammengestellt sind, auch eine klare Absenz von Identität und Interessen“, schreibt das Magazin.
Früher war alles besser
Diana Weis ist Professorin für Modejournalismus in Berlin und sagt im Gespräch mit dem BR: „Ich halte das für einen typischen Kulturpessimismus, also die Einstellung, dass alles immer schlechter wird: Früher war alles besser. Früher waren die Menschen individueller. Früher hatte die Mode noch mehr Bedeutung. Ich glaube nicht, dass das stimmt.“
Es ließe sich natürlich nicht von der Hand weisen, das Technologie und Medien einen Einfluss auf die Mode haben: „Ich würde aber im Gegenteil sagen, dass Social Media eher zu einer breiteren Varianz an Stilen geführt hat“, meint Weis, „eben dadurch, dass nicht mehr nur die professionelle Modepresse vorgibt, was Mode ist, sondern auch viele Einzelpersonen jetzt die Möglichkeit haben, ganz eigene Varianten davon vorzuführen.“ Mode verbreite sich seit jeher durch Imitation, Social Media sei dabei eben eine weitere Inspirationsquelle.
Baggy-Trend schon wieder vorbei
Die auch im Monopol-Artikel beanstandete Uniform aus weiter Baggy-Hose und engem Top sei schon wieder auf dem absteigenden Ast, meint Weis: „Grundsätzlich hatten wir jetzt lange Zeit so eine Silhouette, wo unten viel Volumen war: Weite Hosen und klobige Schuhe, oben eher wenig Volumen, also schmal, knappe Tops. Jetzt kommt aber schon wieder das Gegenteil, nämlich was wir schon in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts hatten. Also oben Volumen, unten schmal: Skinny Jeans und schlabbrige Oberteile.“ Auch unter ihren Studierenden bemerke sie wenig Konformismus: „Es gibt immer zwei Hauptgruppen: Die einen sind bisschen schicker und die anderen ein bisschen punkiger, aber das gab es eigentlich schon immer.“
Eine häufige These bezüglich Mode und sozialen Medien ist auch, dass Trends schnelllebiger geworden sind: Sogenannte Mikrotrends, die kaum mehrere Monate halten, befeuert durch Fast-Fashion-Konzerne, die ständig neue Mode auf den Markt werfen. Auch hier ist Weis eher entspannt: „Stillstand ist der Tod und alles ist besser, als einfach langweilig zu sein.“
Muss Mode immer radikal individuell sein?
Dabei gäbe es aber auch immer große Trends, viele Leute wollten mit ihren Klamotten auch gar nicht eine radikale Individualität leben, wie es der Monopol-Artikel unterschwellig unterstellt – sondern sich einer Gruppe zugehörig fühlen: „Das bietet auch Geborgenheit und Schutz. Und herauszustechen und immer ganz alleine auf sich gestellt zu sein, ist halt auch sehr anstrengend“, sagt Weis, „die Vorstellung, dass man mit der Mode sein ganz höchst individuelles Selbst ausdrückt, ist eine sehr romantische Vorstellung. Und zwar auch im Wortsinn aus der Romantik stammt. Wenn wir uns eine Figur wie Goethes Werther anschauen, der ebenso verzweifelt an den Normen der Gesellschaft. Er möchte sein Handeln nur an seinen innersten Gefühlen orientieren. Das ist eine Figur, die eigentlich gar nicht mehr so in die heutige Zeit passt. Wir sind immer ein Produkt unserer Umwelt, unserer Erfahrungen und der ästhetischen Eindrücke, die in unserem Leben sammeln.“